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die Villa Eicke

 

Text der Informationstafel:

Theodor Eicke, der erste Inspekteur der Konzentrationslager (IKL) und vormalige Dachauer KZ-Kommandant ließ im Frühjahr 1936 den Aufbau des KZ Sachsenhausen in die Wege leiten. Er baute die SS-Wachverbände der KZs zu kampfstarken Verbänden auf, die den Kern der späteren SS-Totenkopfdivision bildeten, deren Kommandeur er ab 1939 war. Nachdem die IKL im August 1938 in das große Stabsgebäude südlich des KZ Sachsenhausen zogen, ließ sich Eicke am östlichsten Zipfel des Truppengeländes eine luxuriöse Dienstvilla mit über 300 Quadratmeter Wohnfläche bauen. "Für Eicke, den Leiter der Reichsleitung der SS, wurde in der äußersten Ecke am Winkel, wo beide Straßen von Oranienburg nach Bernau und die Abzweigungen nach Sachsenhausen zusammenliefen, eine Villa gebaut. Pläne wurden im Baubüro erarbeitet und bewilligt. Das Projekt sah im Finanzplan 148.000 Mark vor. Als der Bau bezugsfertig war, kam Eicke mit Frau zur Besichtigung und wunschgemäß wurden derartige Um- und Veränderungsbauten vorgenommen, die weitere 92.000 Mark verschlangen." Die Villa mit parkähnlichen Garten ist zur Straße und dem Truppengelände hin durch eine Mauer abgetrennt. Das Innere sollte mit seinen aufwendigen Vorräumen und schweren Balkendecken, Wandpanelen und dem kassettenförmig intarsiertem Parkett sowohl den Eindruck von Gediegenheit vermitteln als auch der Repräsentation dienen.

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Die Villa Eicke, die als einziges Gebäude von vornherein unter Denkmalschutz stand. Inzwischen wurde sie umgebaut zu einer internationalen Jugendbegegnungsstätte für die Gedenkstätte Sachsenhausen.

 

An Eickes Lebenslauf (59) wird deutlich, daß er einen gewissen Hang zu militärähnlichen Organisationen hatte:

Der erste Teil seines Lebenslaufes kann man als "verfehlt" charakterisieren, da er seinen Arbeitsplatz mehrmals verloren hat. 1892 wurde er geboren als Sohn eines Stationsvorstehers. Die Realschule brach er ohne Abschluß ab, um Soldat zu werden. Allerdings machte er während des 1. Weltkriegs keine Karriere. Als Polizist wurde er wegen seiner republikfeindlichen Einstellungen entlassen. Schließlich fand er eine Tätigkeit im Wachschutz der BASF. Als er 30 war, bekam er dann seine erste feste Anstellung. Er hatte eine Neigung zu militärähnlichen Organisationen (1. Weltkrieg, Polizei, Wachschutz). 1928 trat er der NSDAP und der SA bei, 1930 ging er zur SS. 1931 übernahm er die Führung der zehnten SS-Standarte. 1932 hatte er ca. 1000 SS-Männer unter sich.

1932 wurde er wegen staatsfeindlicher Aktivitäten inhaftiert. Man verurteilte ihn zu zwei Jahren Gefängnis. Ihm gelang allerdings die Flucht nach Italien. Im Februar 1933 kehrte er nach Deutschland zurück. Ein Staatsanwalt ermittelte gegen den Kommandanten in Dachau wegen der dort begangenen Verbrechen. Aus diesem Grund mußte der erste Kommandant in Dachau seinen Platz räumen, so daß Eicke der Nachfolger wurde. Dort hat er die Gewalt systematisiert. Er schuf die sg. "Lagerordnung", die später in fast allen Punkten in anderen KZs gültig wurde. Damals vom 21. März 1933 bis Sommer 1934) waren die anderen Lager von der SA organisiert, Dachau war das einzige KZ der SS gewesen.

Im Mai 1934 wurde Eicke befördert: Er wurde zum sg. "Inspekteur der Konzentrationslager". Am 1. Juli 1934 ermordete er Ernst Röhm, den Chef der SA. Die Konzentrationslager wurden unter Kontrolle der SS gestellt und von Eicke reorganisiert. 1936 wurde Sachsenhausen gebaut als das erste systematische Konzentrationslager.
Seit 1934 trugen die Wachmannschaften in en KZs Totenköpfe auf den Uniformen. Seit 1936 wurden die Wacheinheiten offiziell als "Totenkopfverbände" bezeichnet. Seitdem waren sie auch von der allgemeinen SS unabhängig. Diese Einheit war ein Kern der 1939 gegründeten Waffen-SS neben den SS-Verfügungstruppen.

Eicke trainierte und schulte seine Männer außerordentlich hart. Er selbst als Kommandant der Totenkopfverbände fühlte sich als Kommandant einer militärischen Einheit.

Als überzeugter SS-Mann und überzeugtes Partei-Mitglied wollte Eicke am zweiten Weltkrieg teilnehmen. Daher verließ er im November 1939 die Inspektion, Richard Glücks wurde sein Nachfolger.

Für den Kriegseinsatz bildete er noch die sg. "Totenkopfdivision", eine kämpfende Spezialeinheit, die viele Kriegsverbrechen begangen hat. In Le Paradis wurden z. B. ca. 100 britische Soldaten erschossen, die sich bereits ergeben haben.

Im Februar 1943 wurde Eicke getötet: Sein Flugzeug wurde in der Sowjetunion abgeschossen. Eickes Frau und Kind blieben in der Villa auch nach 1939 bis 1945 wohnen. Die Villa war zwar nur eine Dienstvilla für den Inspekteur der Konzentrationslager, aber Eicke war zu wichtig, als daß seine Familie, nach dem er 1939 den Posten nicht mehr inne hatte, ausziehen mußte. Obwohl Eicke ab 1939 mit den Konzentrationslagern nichts mehr zu tun hatte, wurde er häufig um Rat gefragt. Eicke nahm 1941 an einer Besprechung teil, in der es um den Mord an sowjetischen Kriegsgefangenen ging im Rahmen des sg. "Kommissarbefehls" in der IKL.(60)

Glücks wurde 1889 geboren.(61) Nach seiner abgebrochenen Gymnasialausbildung begann er eine kaufmännische Lehre und leistete seinen Wehrdienst ab. Im ersten Weltkrieg machte er Karriere. Nach Ende des ersten Weltkriegs hatte er in der Reichswehr verschiedene Aufgaben. Seit 1931 war er arbeitslos. 1930 trat er in die NSDAP ein, 1932 in die SS. Dort machte er eine schnelle Karriere, so daß Eicke mit ihm sehr zufrieden war. Er führte Himmlers Wünsche aus, den Häftlingen gegenüber war er völlig gleichgültig eingestellt. In den Jahre ab 1939 war er führend involviert in den verschiedensten Massenverbrechen in den KZs, z. B. verlangte er in den Jahren 1942/43 eine präzisere Selektion: Häftlinge, die nicht arbeitsfähig waren, sollten umgehend ermordet, die anderen sollten zunächst am Leben gelassen werden.

Wegen einer Herzschwäche kam er im April 1945 in ein Krankenhaus. Nachdem Deutschland kapituliert hatte, beging er Selbstmord.

Zurück zu Eicke:
Militärischem Gehorsam entsprechend, legte Eicke viel Wert auf Gehorsamkeit. So war im Befehlsblatt März 1937 zu lesen: "Daß über manche Befehle geschimpft wird, ist selbstverständlich und wird nicht übel genommen, solange das mit einem anständigem Fluche zum Ausdruck kommt; jedoch ist Bedingung, daß der Befehl sofort dem Gehorsam folgt. Ob ein Befehl zweckmäßig oder, wie manche sagen, 'militärisch' ist, unterliegt nicht der Nachprüfung der Untergebenen." Hiermit wurde natürlich Verantwortung delegiert. Ein Beispiel liefert der Arzt Dr. Dohmen, der im Lager Sachsenhausen 1943-1945 an Gelbsucht-Experimenten an jüdischen Kindern und Jugendlichen beteiligt war. Dohmen selbst war zwar "nur" SA-Mitglied, wegen seiner Fachkompetenz aber genoß er einen besonderen Status.

Im Rahmen seiner Arbeit sollte er erkrankte deutsche Soldaten (!) an der Leber punktieren, ein übliches Verfahren. Allerdings war Dr. Dohmen hierzu nicht ausgebildet. Seine Bedenken äußerte er in einem Brief: "Wenn ich die Punktion durchführte, hätte ich als Arzt die Verantwortung zu übernehmen, anders würde es natürlich sein, wenn ich das 'Erwarten' als einen dienstlichen Befehl aufzufassen hätte. Etwas anderes wäre es natürlich auch, wenn z. B. Herr Dr. Voegt die Punktion vornehmen könnte [Hervorhebung: der Verf.]."(62)

Die Gehorsamsbereitschaft ging soweit, daß er sogar im nationalsozialistischem Sinn sg. "Arier" mit einer Methode behandelt hätte, für die er nicht ausgebildet war.
Eicke war aber nicht nur für seine militärische Härte, sondern auch für seine Kameradschaft bekannt. Im Befehlsblatt Februar 1937 schrieb er folgendes: "Ein Stabsscharführer hat einen SS-Mann zur Bestrafung gemeldet, weil der SS-Mann außer Dienst einen Rottenführer kameradschaftlich mit 'Du' angesprochen hat. Der betreffende Stabsscharführer handelte wie ein Kommißfeldwebel, nicht aber als Nationalsozialist."

Eicke hat sich nicht nur bemüht, ein äußerst kameradschaftliches Verhalten zwischen den SS-Totenkopfmitgliedern herzustellen (was nach 1945 häufig verklärt wurde und noch wird), sondern auch ein solches zwischen ihm und den einzelnen Mitgliedern.

Eicke ließ einen Beschwerdebriefkasten anbringen, für den nur er selbst einen Schlüssel hatte. Außerdem legte er bei Truppeninspektionen Wert darauf, auch mit den unteren Rängen sprechen zu können, ohne daß der unmittelbar Vorgesetzte mit anwesend war.

Sorge faßte dies prägnant zusammen: Eicke war "ein Führer von Männern und Soldat. Er konnte hart sein, aber er konnte auch, nach anstrengendem Training, sich ausruhen, eine runde Bier für alle bestellen und kameradschaftlich sein."(63) Schließlich wurde nach Sorge von allen "Papa Eicke" genannt.(64) Der Spitzname "Papa Eicke" erfüllt aber auch eine psychologische Dimension insofern, als die Rekruten der SS-Totenkopfverbände sehr jung waren, sich noch nicht vollständig vom Elternhaus gelöst haben. Eicke erschien tatsächlich als Vertrauensperson, Ersatz- und Übervater.(65)

Die Mixtur aus extremer Härte und Kameradschaft schließlich kippte in Kameraderie um. Die Ansprüche, die an den Einzelnen gestellt worden sind, waren viel zu hoch, als daß sie allesamt erfüllt werden konnten. Dies führte dazu, daß sich ein Netz von subtilen Abhängigkeiten gebildet hatte, weil jeder sein Versagen verheimlichen mußte. Es kam zur Herausbildung von subtilen Erpressungsformen, die auf gegenseitiges Verschweigen des Versagens beruhten.(66)

Die Anforderungen an den Einzelnen waren immens. Ideal war beispielsweise, wenn man ein tadelloses Gebiß vorweisen konnte, man durfte kein Brillenträger sein (obwohl Himmler einer war) und man sollte eine Familie gründen, mindestens 1, 72 m groß sein u. ä. Schon diesen Ansprüchen konnte kaum jemand gerecht werden. Bedingt durch den Krieg, stieg die Zahl der Häftlinge immer schneller, immer mehr Wachpersonal wurde benötigt. Die Ansprüche wurden in realiter immer weiter gesenkt. Die Kluft zwischen der Theorie des Ordens und der Elite und der Realität wurde immer größer. Auch dies erzeugte wahrscheinlich ein gewisses Frustrationspotential, weil in der Propaganda weiterhin an diesem "Idealbild" festgehalten wurde. Dies mußte aber zumindest ansatzweise verwirklicht werden. Die propagierte Härte bekamen die Häftlinge zu spüren, auch um den eigenen Frust zu kompensieren, um zu zeigen, daß man stark ist, man dem Ideal doch entsprechen kann.

Eicke war bemüht, seine SS-Männer zu verheiraten. Deswegen ging er immer wieder durch die Stadt, um Frauen zu finden. Den ein "richtiger" SS-Mann war nur derjenige, der eine Familie mit vier Kindern vorweisen konnte. Später, kriegsbedingt, sollten es vier Söhne sein. Eine Heirat mußte von Himmler ausdrücklich genehmigt werden, der Ariernachweis war obligatorisch. Geheiratet wurde innerhalb der SS-Familien.

In einem Befehl Himmlers vom 28. Oktober 1939, betitelt mit "SS-Befehl für die gesamte SS und Polizei", heißt es u. a.: "Die alte Weisheit, daß nur der ruhig sterben kann, der Söhne und Kinder hat, muß in diesem Kriege gerade für die Schutzstaffel wieder zur Wahrheit werden. [...] Über die Grenzen vielleicht sonst notwendiger bürgerlicher Gesetze und Gewohnheiten hinaus wird es auch außerhalb der Ehe für deutsche Frauen und Mädel guten Blutes eine hohe Aufgabe sein können, nicht aus Leichtsinn, sondern in tiefstem sittlichem Ernst Mütter der Kinder ins Feld ziehender Soldaten zu werden, von denen es das Schicksal allein weiß, ob sie heimkehren oder für Deutschland fallen."(67)

Viele Frauen wiederum entsprachen nicht dem arischen Ideal. Ein SS-Angehöriger hatte sich 1943 schriftlich darüber beschwert, daß SS-Männer wenig Wert auf rassische Gesichtspunkte legten. Himmler Referent antwortete ihm folgendermaßen: "Es werde einer unserer wichtigsten Friedensaufgaben sein, durch Unterricht und Unterweisung alle jungen SS-Männer zu einer richtigen artgemäßen Auswahl ihrer künftigen Frauen und Mütter ihrer Kinder zu bringen. Während des Krieges ginge das jedoch nicht. Dem Reichsführer-SS sei es wichtiger, der SS-Mann pflanze sich überhaupt noch fort, als daß er ihm die Heirat mit einer schnell gesuchten Braut verbiete und auf diese Weise den Nachwuchs unterbinde."(68) Auch hier wurde eindeutig das Ideal den Kriegserfordernissen geopfert. Die nach rassischen Gesichtspunkten zu erfolgende Auswahl der Ehepartner wurde nicht nur von Himmler für die SS propagiert, sondern auch in der breiten Gesellschaft.

 

(59) Vgl. hierzu Tuchel, Johannes: Die Inspektion der Konzentrationslager 1938-1945. Das System des Terrors (Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 1), Berlin 1994, S. 32.

(60) Vgl. Orth, Karin: a. a. O., S. 171.

(61) Vgl. Glücks’ Lebenslauf in: ebd., S. 58.

(62) Zitiert nach Leyendecker, Brigitte/Klapp, Burghard F.: Deutsche Hepatitisforschung im Zweiten Weltkrieg, in: Ärztekammer Berlin (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit der Bundesärztekammer: Der Wert des Menschen. Medizin in Deutschland 1918-1945, S. 261-293, hier S. 278.

(63) Dicks, Henry V.: a. a. O., S. 104.

(64) Ebd., S. 99.

(65) Vgl. Boppel, Peter: Ausbildung, Sozialisation und Persönlichkeit von Foltereren. Psychoanalytisch-sozialisationstheoretische Aspekte einer ‚Anthropologie des Bösen‘, in: ZPP, 4. Jhg., Heft 2/1996, S. 121-134

(66) Vgl. ausführlich Buchheim, Hans: a. a. O., S. 257f.

(67) Bundesarchiv NS 19/1971, publiziert in Ackermann, Josef: Heinrich Himmler als Ideologe, Göttingen/Zürich/Frankfurt a. Main 1970, S. 238.

(68) Ebd., S. 266f.