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die Kantine bzw. Volks- und Gemeinschaftshalle

 

Dies grüne Holzgebäude war die damalige Kantine und Volks- und Gemeinschaftshalle. Sie ist aus Holz gebaut, weil die SS 1938 in Finanzschwierigkeiten steckte. Als Parteiorganisation wurde die SS nicht in jedem Fall wohlwollend und ausreichend vom Finanzministerium unterstützt.(11)

 

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Die Lage der Gemeinschaftshalle auf dem Luftbild: Die imaginäre Mittelachse teilt das Gebäude exakt in der Mitte.

Inhalt der Texttafel am Gebäude:

Das Wirtschaftsgebäude ist auf der Mittelachse des Lagerkomplexes angeordnet und massiv unterkellert und mit einem hölzernem provisorischen Aufbau versehen worden, der den Keller nicht völlig abdeckt. Wahrscheinlich sollte er den Grundstock eines für später geplanten Massivbaus darstellen. Der Speisesaalbau mit Küche diente als Truppenkantine, konnte aber auch zu Vorträgen, Versammlungen, Feierstunden bzw. als "Volks-" und "Gemeinschaftshalle" verwendet werden.

In der Kantine arbeiteten - wie in den anderen Bereichen des Truppenlagers (KVA) - Häftlinge aus dem KZ, hier beispielsweise als "Abwäscher", "Kartoffelschäler", "Portionsschneider", Schneider oder Kellner.

Ungefähr ein Dutzend Häftlinge arbeitete im "Casino" als Kellner. Der Arbeitstag begann um drei Uhr morgens mit Waschen, ab vier Uhr mußten sie bis 20/21 Uhr in der Kantine arbeiten.(12)

"Das Frühstück hat bis ca. 9 Uhr angedauert. In der sehr kurzen Zeit mußten ca. 2000 SS-Leute abgefertigt werden. Nach dem Frühstück wurde wieder sauber gemacht und die Tischdecken abgenommen."(13)

Die Häftlinge konnten von hier Nahrungsmittel und aufgeschnappte Portionen unter großem Risiko ins Lager bringen. "Wir haben manchem Kumpel geholfen. Das Kellnerkommando war immer das Letzte, das ins Lager eingerückt ist. Es wurde immer so 20-21 Uhr. Dadurch haben wir sehr viel gesehen, was im Lager vor sich ging, wir durften aber nichts sehen."(14)

Bei größeren Mengen Lebensmitteln brachten SS-Leute aus dem Verwaltungsbereich, die sich als Gegenleistung von den Gefangenen z. T. größere Wertgegenstände aus dem Lagerbestand organisieren ließen, diese selbst in den Häftlingsbereich. "Da zwischen dem Bereich der SS-Standarte und dem Häftlingsbereich Kontrollen der Häftlinge sehr oft erfolgten, konnten größere Quanten von Lebens- und Genußmitteln nicht durch die Häftlinge selbst in ihren Werkzeugkästen ins Lager gebracht werden. In solchen Fällen verpflichtete sich z. B. der Leiter des Wirtschaftsgebäudes der SS wie auch der Kantinenchef der SS sie selbst ins Lager zu bringen."(15)

 

Die Arbeit hier war körperlich nicht so anstrengend wie andere Zwangsarbeiten, was den Nachteil des extrem langen Arbeitstages relativierte.

Das Gebäude war der zentrale Treffpunkt für die SS-Männer. Hier gab es politische Filme und Vorträge, aber auch Unpolitisches, z. B. hat die Berliner Scala hier gastiert.(16)

Bildnachweise: bpk/Josef Donderer

 

Politische Vortragsthemen waren z. B. "Der Großgermanische Gedanke in der Geschichte",(17) "Der Krieg — ein weltanschaulicher Kampf".(18)

Im Bericht über den Monat Januar 1942 heißt es über die gezeigten Filme: "Im Wirtschaftsgebäude der Standarte wurden im Januar neben der jeweils neuesten Kriegswochenschau folgende Hauptfilme gezeigt: Weg ins Freie, Irrtum des Herzens, Jungens, Sieben Jahre Pech."(19)

Das Gebäude selbst ist aufgebaut wie eine dreischiffige Basilika (Hauptschiff in der Mitte mit zwei Seitenschiffen). Die Mittelachse beginnt beim Eingang des Truppenlagers (sie verläuft exakt zwischen den beiden Eingangsgebäuden), teilt ebenso exakt die Volks- und Gemeinschaftshalle in zwei Hälften und setzt sich schließlich als Mittelachse im Schutzhaftlager bis zur Dreiecksspitze fort.

Das Gebäude zeichnet sich insofern durch mehr Schein als Sein aus, als die Treppe nicht in ihrer völligen Breite nutzbar ist. Geht man unbedarft die Treppe nicht an Seiten hinauf, fällt man in einen Schacht: Er führt in den Keller. Die breite Treppe ist nur an den Seiten nutzbar, dort wo sich auch die vernagelten Eingänge befinden.

 

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Die Kantine (bzw. Volks- und Gemeinschaftshalle), die seit Anfang der 90er Jahre verfällt. Inzwischen ist auch das Dach eingefallen.

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Der Schacht zum Keller, der sich auf (!) der Terrasse der Vorderseite befindet.

 

Himmler führte in seinem Vortrag vor der Wehrmacht weiter aus:

"Bewacht werden die Konzentrationslager von diesen Totenkopfverbänden [...] Diese Lager sind umzäunt mit Stacheldraht, mit elektrischem Draht. Es ist selbstverständlich: Wenn einer eine verbotene Zone oder einen verbotenen Weg betritt, wird geschossen. Wenn einer auf dem Arbeitsplatz, sagen wir im Moor oder beim Straßenbau oder sonstwo, auch nur den Ansatz macht, zu fliehen, wird geschossen. Wenn einer frech und widersetzlich ist, und das kommt hier und da vor, [...] kommt er entweder in Einzelhaft, in Dunkelarrest bei Wasser und Brot, oder - ich bitte hier nicht zu erschrecken, ich habe die alte Zuchthausordnung Preußens vom Jahre 1914-1918 genommen - er kann im schlimmen Fällen 25 Hiebe bekommen. Grausamkeiten, sadistische Sachen, wie es die Auslandspresse vielfach behauptet, sind dabei völlig unmöglich. Erstens kann die Strafe nur der Inspekteur sämtlicher Lager verhängen, also nicht einmal der Lagerkommandant, zweitens wird die Strafe vor einer Bewachungskompanie vollzogen, so daß immer ein Zug, 20 bis 24 Leute, dabei sind, schließlich ist bei einer Bestrafung ein Arzt dabei und ein Protokollführer. Also mehr kann man an Genauigkeit nicht tun."(20)

Dieser Redeauszug enthält zwei wahre und zwei falsche Aussagen bezüglich des Verhältnisses des SS-Mitglieds zum Häftling.

Wahr ist, daß zur Schulung die Bewachungskompanie antreten mußte, um sich die Bestrafung des Häftlings anzusehen. Gewalt wurde dadurch intitutionalisiert und ritualisiert, was Gewöhnung und Abstumpfung nach sich zog. Gustav Sorge, der im Lager den Spitznamen "Eiserner Gustav" wegen seiner Brutalität trug, sagte im Gefängnis einem Psychologen gegenüber: "Alles wurde zur Routine, man schlitterte in völlige Gleichgültigkeit."(21)

Wahr ist zweitens, daß es keine "sadistischem Sachen" gab, denn Sadismus ist eine Form pervertierter Sexualität. Die Täter aber waren in der Regel völlig normale Menschen.

Falsch ist, daß die Anwesenheit des Arztes eine lindernde Funktion gehabt haben soll. Der Sachsenhausener Lagerarzt Dr. Baumkötter ist dafür bekannt, daß er Häftlingen nach der Prügelstrafe Kniebeugen machen ließ, um den Blutkreislauf wieder in Schwung zu bringen.(22)

Ebenso ist es irrig anzunehmen, daß es in den Lagern keine Willkür gab. Theoretisch mußte tatsächlich die Genehmigung des Inspekteurs zur Bestrafung eines Häftlings vorliegen mußte. Praktisch wurden Strafen ohne Genehmigung verhängt; Mißhandlungen von den Verantwortlichen billigend in Kauf genommen und dadurch autorisiert.

Außerdem wurde ein Häftling häufig zweimal bestraft, wenn er (angeblich) gegen die Lagerordnung verstoßen hatte: Sofort nach dem Vergehen, gleichzeitig wurde ein entsprechender Antrag an die Inspektion der Konzentrationslager gesendet. Nach ein paar Tagen Dienstweg wurde dem Antrag statt gegeben, der Häftling daraufhin erneut bestraft.

Rudolf Höß beschrieb seine Zeit in Dachau wie folgt: "Genau erinnerlich ist mir die erste Prügelstrafe, die ich sah. Nach Eickes Anordnung mußte beim Vollzug dieser körperlichen Züchtigung mindestens eine Kompanie der Truppe zugegen sein. [...] Ich stand im ersten Glied und war nun gezwungen, den ganzen Vorgang anzusehen. Ich sage gezwungen, denn hätte ich in einem hinteren Glied gestanden, hätte ich nicht hingesehen. [...] Ja der ganze Vorgang ließ mich schaudern..[...] Ich habe mich bei den folgenden Prügelstrafen, bei denen ich mit antreten mußte, solange ich noch bei der Truppe war [d. h. während seiner Ausbildung in den einfachen Wachmannschaften, der Verf.], stets nach hinten verzogen. Später, als Blockführer, habe ich mich, so gut es ging, ganz davor gedrückt, zumindest aber vor dem Schlagen. Dies ging leicht, da einige Blockführer sich stets dazu drängelten. Als Rapportführer, als Schutzhaftlagerführer mußte ich dabei sein. [...] Die Blockführer, die sich dazu drängten, und die ich so kennengelernt habe, waren fast durchwegs hinterhältige, rohe, gewalttätige, oft gemeine Kreaturen, die sich auch den Kameraden oder ihrer Familie gegenüber entsprechend benahmen. Häftlinge waren für die keine Menschen."(23)

Hier werden wichtige Aussagen gemacht. Zunächst bestätigt Höß‘ Aussage Eickes Anordnung. Solange Höß bei der Truppe war, mußte er bei den Strafen anwesend sein zu Ausbildungszwecken. Truppe heißt Wachmannschaft. Später als Blockführer (also als Mitglied des Kommandanturstabes) konnte er sich davor drücken.

Höß äußert hier klar seine Abscheu vor der Prügelstrafe. Dies war die erste Gewalterfahrung, was natürlich kein Grund war, die Strafe später nicht zu verhängen. Die Ausführung wurde an andere delegiert. Vor anderen Strafen scheint er keine Abscheu gehabt zu haben (ansonsten hätte er dies wahrscheinlich beschrieben), so daß man durchaus von Gewöhnungseffekten sprechen kann.

Außerdem unterscheidet Höß zwischen zwei Täter-Charaktere. Er schrieb, daß sich einige Blockführer dazu drängten. Diese aber verhielten sich ähnlich brutal ihren Kameraden oder der Familie gegenüber. Von vielen Tätern aber ist bekannt, daß sie ein völlig harmonisches Familienleben führten, wie beispielsweise der SS-Hauptscharführer Gustav Sorge, genannt "Eiserner Gustav".

Gustav Sorge hat im KZ Sachsenhausen z. B. Häftlinge zu Tode getrampelt oder sie auf besonders grausame Weise zu Tode gequält, die sich schnell verbreitete:(24) Dem Häftling wurde ein Wasserschlauch in die Speiseröhre gestopft und anschließend unter hohem Druck Wasser angelassen. Dies führte dazu, daß die Speiseröhre und der Magen geplatzt ist, und der Häftling starb.(25)

Der Richter charakterisierte ihn: "Dabei ist er nicht als Sadist zu bezeichnen. Bei ihm ist der eigene Lustgewinn bei der Demütigung und Marter der Häftlinge nicht erkennbar."(26) An anderer Stelle wurde Sorge vom Richter wie folgt beschrieben: "Sorge war kein Sadist, aber der Prototyp eines ungerührten, gefühllosen und entschlossenen Mörders", gleichzeitig ein "vorbildlicher Ehemann und liebender Vater" seiner drei Kinder.(27)

Ähnlich wurde er auch vom Staatsanwalt beschrieben: "Der Angeklagte ging nach dem Dienst im Konzentrationslager, wo er irgendwelche Menschen auf bestialische Weise getötet hatte, unbeschwert nach Hause. Er war ein guter Familienvater, wie seine Frau ihn geschildert hat; er war weich in der Erziehung seiner Kinder, er war niemals unbeherrscht. Ein Sorge, der der Schrecken von Tausenden von Menschen im Konzentrationslager war, kam nach Hause, schaltete ab und war ein friedlicher, ruhiger und weicher Familienvater, dem die Tränen in die Augen kamen, wie seine Frau erzählt hat, als er seine Tochter einmal wegen einer Kleinigkeit züchtigen sollte. Es war ein völlig anderer Sorge als jener, der im Konzentrationslager seinen Dienst tat."(28)

Bei vielen Tätern zeichnen sich zwei völlig verschiedene Verhaltensweisen ab: Im KZ extrem brutal, im Privatleben jedoch völlig unscheinbar bzw. harmonisch. Der amerikanische Psychologe Robert J. Lifton bezeichnet dies als "Doppelung".(29)

 

(11) Vgl. Tuchel, Johannes: a. a. O., S. 125f.

(12) Archiv Sachsenhausen, künftig AS, LAG XXXV/4, S. 10.

(13) AS LAG XXXV/5, S. 9f.

(14) AS LAG XXXV/5, S. 10.

(15) AS LAG I/5, S. 11f.

(16) Monatsbericht der Abt. I KL Sh. vom 5. 11. 1941, AS R 135/5, S. 2.

(17) Ebd.

(18) Monatsbericht der Abt. I KL Sh. vom 2. 2. 1942, AS R 135/5, S. 6.

(19) Ebd., S. 7.

(20) IMT Bd. 29, S. 221f., 228ff, publiziert in Michalka, Wolfgang: a. a. O., S. 98f.

(21) Dicks, Henry V.: Licensed Mass Murder. A Socio-psychological Study of Some SS killers, London/New York 1972/73 (Kapitel V: hier wird Gustav Sorge interviewt. Das Interview selbst ist anonymisiert, es handelt sich bei den "Case S2" aber eindeutig um Gustav Sorge)

(22) Vgl. Sigl, Fritz: Todeslager Sachsenhausen. Ein Dokumentarbericht vom Sachsenhausen-Prozeß, Berlin 1948, S. 82.

(23) Höß, Rudolf: Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß, München 141994, Hrsg. Von Martin Broszat, S. 81ff.

(24) So die Ausführungen des polnischen Häftlings Gabriel Zych in seinem Buch “Oranienburg. Rachunek pamieci” (AS 5005), zitiert nach der deutschen Arbeitsübersetzung in der Bibliothek Nr. 3354, S. 16.

(25) Sorge wurde zusammen mit Schubert in Köln/Bonn 1958/59 in einem Prozeß zu lebenslager Haft verurteilt. Dieser Prozeß ist dokumentiert in: Dam, Hendrik G. van/Giordano, Ralph (Hrsg.): KZ-Verbrechen vor deutschen Gerichten, 2 Bde., Bd. 1: Dokumente aus den Prozessen gegen Sommer (KZ Buchenwald), Sorge, Schubert (KZ Sachsenhausen), Unkelbach (Ghetto in Czenstochau), Frankfurt a. Main 1962, S. 151-510.

(26) Ebd., S. 499.

(27) Vgl. Dicks, Henry V.: a. a. O., S. 95.

(28) Vgl. Giodarno/Dam (Hrsg.): a. a. O., S. 257.

(29) Vgl. ausführlich Lifton, Robert J.: Ärzte im Dritten Reich, Stuttgart 1988.