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die Hundertschaftsgebäude

 

Text der Informationstafel:

Im Zuge der Erweiterung des Truppenlagers ca. 1937 zur Unterbringung eines dritten Sturmbanns wurden die einst vier 2geschossigen Hundertschaftsgebäude - das südliche wurde zerstört - errichtet. Beiderseits schlossen ebenfalls vier normale eingeschossige Funktionsbaracken die Reihe ab. Die Gebäude sind Holztypenbauten entsprechend den Hundertschaftsgebäuden in Buchenwald, die nach außen den Eindruck von steinernen Solidität erwecken sollen.

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Auch diese Gebäude zeichnen sich durch die Holzbauweise durch mehr "Schein als Sein" aus. Die Holzverkleidung unter dem Giebel weist auf den Baustil hin, den sg. "Heimatschutzstil".

Im Befehlsblatt Juni 1937 ist zu lesen: "Was nützt uns das Symbol, der Totenkopf, wenn er zum Lametta am Kragen wird und wir bei dem lächerlichen Versuch, eine militärische Organisation nachzubilden [!] schon in den Anfängen steckenbleiben. Wir müssen die Männer lehren, selbstlos das bißchen 'Ich' zu vergessen, damit sie sich, wenn es sein muß, vorbehaltlos einsetzen und verbissen ihre Pflicht erfüllen... Diese Männer hat kein Wehrgesetz gerufen, sie kamen freiwillig, um den Führer zu dienen; sie gaben deshalb, dem inneren Drange folgend, schon früh das Elternhaus auf, um sich von der Schutzstaffel körperlich und geistig formen zu lassen. Dieser freie Wille wiegt schwerer als ein Gesetz; er muß daher dankend anerkannt und sorglich gehütet werden; aus ihm kommen dereinst Leistungen und Taten."(44)
Auch an diesem Auszug lassen sich einige wahre und falsche Aspekte aufschlußreich herausstellen. Diesem Befehlsblattsauszug gemäß waren tatsächlich (zumindest bis Kriegsbeginn) die SS-TV-Mitglieder jung. Dem statistischen Jahrbuch der SS ist zu entnehmen, daß das Durchschnittsalter der Totenkopfverbände 1938 im Durchschnitt 20,7 Jahre betrug.

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Die Altersstruktur der SS-Totenkofverbände zum Stichtag 31. Dezember 1938. Fast die Hälfte der SS-TV-Mitglieder (4419 von 9172) war erst 17, 18 und 19 Jahre alt (in der Waagerechten sind die Geburtsjahrgänge aufgeführt).

Fragwürdig und zweifelhaft ist aber, inwieweit die jungen Männer tatsächlich freiwillig (im Original ist dies Wort tatsächlich unterstrichen) in die SS eintraten, besonders dann, wenn man Eickes Begriff der Freiwilligkeit zu Grunde legt. Im Befehlsblatt wird behauptet, daß diese Freiwilligkeit auf den inneren Drang, dem Führer zu dienen, beruhen sollte. Tatsächlich aber dürfte die Attraktivität der SS sich an anderen Sachverhalten festmachen lassen, wie sie im "Merkblatt zur Einstellung in die SS-Totenkopfverbände" genannt werden: "Geboten wird: Übernahme als Staffelsturmmann [...]. Bei Eignung Aufstieg in die Führerlaufbahn (auch ohne Reifeprüfung). Spätere Übernahme in den Dienst der Polizei (einschließlich Geheime Staatspolizei) mittleren und gehobenen Staatsdienst. Dienstzeitversorgung."(45)

In der SS konnte man also, anders als in der Wehrmacht, Karriere ohne gehobene Schulbildung machen. Um in der Wehrmacht in Offiziersränge aufsteigen zu können, brauchte man eine entsprechende schulische Bildung. In der SS konnte man sogar in die Polizei übernommen werden, was auf der Personalunion Himmlers zurückzuführen ist. Ohne Abitur war es möglich, in den gehobenen Staatsdienst in der Gestapo übernommen zu werden, für viele jungen Menschen nach den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise äußerst attraktiv.

Natürlich wurden durch den Elite-Gedanken auch Geltungsbedürfnisse befriedigt, selten aber spielte ideologische Überzeugung eine ausschlaggebende Rolle. Eines der prägnantesten Beispiele ist der SS-Oberscharführer Otto Kaiser.(46)

Er war gelernter Schlosser und seit 1932 arbeitslos. Außerdem entwickelte er verschiedene kommunistische Aktivitäten, weswegen er nach dem 30. Januar 1933 von der Polizei verhaftet worden ist. Die Polizei teilte ihm mit, daß es besser sei, in den freiwilligen Arbeitsdienst einzutreten (der damals noch freiwillig war), weil er sonst bestraft werden könnte. Um eben einer Strafe zu entgehen, trat Kaiser dem Dienst bei. Währenddessen wurde er eingezogen in einen Probelehrgang der Reichswehr. Dort traf er jemandem, der sagte, daß man in der SS mehr Geld verdienen könnte als in der Reichswehr. Daraufhin trat Kaiser freiwillig in die SS ein.

Auch er hat ähnliche Verbrechen wie Sorge begangen. Von Zeugen und Freunden wurde er u. a. als fürsorglicher Vater, angenehmer Arbeitskollege und hilfsbereiter Nachbar beschrieben. Sein vollkommen unterschiedliches Verhalten resümierte der Staatsanwalt folgendermaßen: "Die Straftaten, die dem Angeklagten zur Last gelegt werden, dürften weniger in seinem Charakter begründet liegen, als sich vielmehr aus der nationalsozialistischen Erziehung ableiten, die ihm zuteil geworden ist.

Möglicherweise ist er, der bei seinem Eintritt in die SS erst 20 Jahre alt war und weder politische noch religiöse Bindungen hatte, einzig vom Strudel nationalsozialistischen Massenhysterie mitgerissen worden. Denn vor seinen Eintritt in die SS und nach Kriegsende lassen sich keine Anhaltspunkte für den in den Straftaten gezeigten Sadismus und eine Brutalität als Charakterveranlagung entnehmen.

Kaiser ist bis auf eine Verkehrsübertretung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten und erscheint durchschnittlich veranlagt.

Dies deckt sich mit den Feststellungen, die über die Lebensläufe vieler anderer NS-Mörder getroffen worden sind. Auch bei diesen haben sich keine Hinweise auf charakterliche Abnormitäten ergeben, die die begangenen Taten erklären könnten."(47)

Auch hier spiegeln sich die unterschiedlichen Verhaltensweisen im Privatleben und im KZ wider. Kaiser gehört sicherlich nicht zu den ideologisch Überzeugten (zumindest vor Eintritt in die SS). Ein klarer Hinweis ist die Tatsache, daß Kaiser erst am 1. 5. 1937 in die NSDAP eintrat, also erst knapp drei Jahre nach seinem Eintritt in die SS.

Außer daß man wegen eines höheren Verdienstes in die SS eingetreten ist, gibt es noch andere Möglichkeiten, Mitglied der SS-TV zu werden, ohne ideologisch überzeugt zu sein. Musiker, die im Musikzug der SS spielten und später in die KZs zur Häftlingsbewachung versetzt worden sind oder ein Motorradfan, der seinem Hobby treu bleiben wollte und in die motorisierte SS eintrat. Später wurde er ins Wachbataillon versetzt.(48)

Bisher wurde dargelegt, daß es keine besonderen Charaktereigenschaften bedurfte, um zum Mörder zu werden. Um dieses noch einmal herauszustellen, soll an dieser Stelle SS-Oberscharführer Wilhelm Schubert als Gegenbeispiel vorgestellt werden.

Schubert wurde zusammen mit Sorge zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt. Er hat sehr ähnliche Verbrechen begangen wie Sorge. Bei ihm zeigen sich allerdings eher besondere Charaktermerkmale, die ihn zum Mörder werden ließen. Durch seine Biographie ziehen sich Minderwertigkeitskomplexe, die in der SS und ähnlichen Organisationen kompensiert worden sind.(49) Seinen "Einstieg" in die Hitlerjugend hatte er seinem Freundeskreis zu verdanken, dem er nacheifern wollte. Seine Karriere war insofern "klassisch", als Schubert wesentliche Gruppierungen der NSDAP durchlief und entsprechend ideologisch geprägt war: Hitlerjugend (1931 mit 15 Jahren), SA (1933) und schließlich SS (1936). Seine Versetzung in den Kommandanturstab des KZs Sachsenhausen erfolgte 1938. Er wurde 1939 mit 22 Jahren jüngster Blockführer.

Wegen seines Charakters hatte Schubert bereits als SS-Mitglied einen schweren Stand als Außenseiter innerhalb der Organisation. Der Staatsanwalt schilderte folgende Situation: "Er versuchte immer wieder, es den anderen Blockführern gleichzutun, die ihn nicht für voll nahmen. Und der Angeklagte Schubert hat uns zu Beginn der Verhandlung selbst einen Vorfall erzählt, der sich in der Kantine des Lagers ereignet hat: Schubert saß dort beim Apfelsaft, während die anderen Blockführer Alkohol zu sich nahmen. Und der Blockführer Bugdalle [...] schickte ihm auf seinen Platz ein Glas Milch mit einem Trauerband und hänselte ihn. Und Schubert erklärte hier im Saal: Ich habe mich darüber geärgert! Und der Vorfall war wieder Anlaß für den Angeklagten zu zeigen, daß auch er ein Mann war, daß er es anderen gleichtun konnte, daß auch er mißhandeln, daß auch er töten konnte. Seine Minderwertigkeitsgefühle reagierte er an Häftlingen ab."(50)

Dies blieb den Häftlingen natürlich nicht verborgen: "Wir haben Schubert nie ernst genommen, er war ein Hammel. Wenn Sorge dabei war, gab er sich besonders hart. Er war ein Wichtigmacher."(51) Ein anderer ehemaliger Häftling sagte vor Gericht aus: "Schubert war feige. Nur wenn nicht viele Häftlinge da waren, kam er allein. Meist hantierte er mit seiner Pistole. Schubert war noch gemeiner, noch niedriger als Sorge. Sorge ließ ab, wenn er jemanden niedergeschlagen hatte, aber Schubert entkam keiner."(52)

Das Führerprinzip äußerte sich bei Schubert folgendermaßen: "Der Schubert hat einen Tick gehabt, der tat so, als sei er der Lagerkommandant, immer die Pistole in der Hand."(53) Das sg. "Führerprinzip" beinhaltete auch, dem Vorgesetzten nachzueifern. Der Vorgesetzte wiederum mußte "besser" sein als seine Untergebenen, was eine weitere Brutalisierung zur Folge hatte.

Entsprechend seines Charakters hatte Schubert auch Probleme im Privatleben:

"Einmal kam ich [ein Häftling, der Verf.] dazu, wie Schubert das Bild der Tochter eines höheren SS-Führers, die nichts von ihm wissen wollte, zwischen zwei Pistolen auf den Tisch gestellt hatte. Schubert fragte mich, was er mit dem Mädchen machen solle, und schoß dann auf das Bild."(54)

Insgesamt zeigt sich hier ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Täter-Charakteren Schubert und Sorge, was aus den jeweiligen Lebensläufen ableitbar ist.

Schubert hatte schon immer Minderwertigkeitskomplexe, die er in den verschiedenen Organisationen der NSDAP versuchte zu kompensieren. Aufgrund seines Charakters läßt sich hier eine Affinität zu solchen Organisationen ablesen, was aber für die gesamte SS eher die Ausnahme war. Die Regel waren Karriereverläufe wie bei Otto Kaiser oder Gustav Sorge. Letzterer war schon seit der Kindheit stärker ideologisiert. Er wuchs nach dem ersten Weltkrieg als Angehöriger der deutschen Minderheit in Polen auf (die zunehmend unterdrückt wurde).(55)

Drei Tätertypen sind also dargestellt worden:
Bestimmte Charaktermerkmale (Schubert),
ideologische Überzeugung aufgrund der historischen und politischen Situation nach 1918 (Sorge),
mehr oder weniger zufällige Lebensläufe mit sehr pragmatischen Gründen, in die SS einzutreten (Kaiser).

SS-Täter wie Schubert mit bestimmten Charaktermerkmalen, die eine SS-Mitgliedschaft erklärbar machen, waren die Ausnahme. Die Mehrheit der SS-Angehörigen trat aus pragmatischen Gründen in die SS ein.(56) Andererseits aber waren hohe Karriereaussichten versprochen worden. Die besseren Posten wurden besetzt von SS-Mitgliedern, die schon früh der SS beitraten (sg. "Alte Kämpfer").(57) Die verstopften Aufstiegskanäle könnten ein weiterer Grund des Gewaltpotentials der Block- und Rapportführer sein.

 

(44) Befehlsblatt Juni 1937, S. 2f.

(45) Merkblatt zur Einstellung in die SS-Totenkopfverbände, S. 1.

(46) Vgl. seinen Lebenslauf in der Anklageschrift gegen Otto Kaiser des LG Köln vom 16. Juli 1963, AZ 24 Js 809/59 (Z), S. 115ff, AS LAG XXXVII,1; im Urteil Rüter-Ehlermann, Adelheid (bearb.): Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945-1966, 22 Bde., Amsterdam 1968 bis 1980, hier Bd. 21, S. 591f.

(47) Anklageschrift gegen Kaiser (1963), S. 115.

(48) Vgl. Hentig, Hans Wolfram von: Beiträge zu einer Sozialgeschichte des Dritten Reiches, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 16, 1968, S. 48-59, hier S. 50f.

(49) Vgl. Giodarno/Dam (Hrsg.): a. a. O., S. 259.

(50) Ebd., S. 256.

(51) Ebd., S. 

(52) Ebd., S. 220f.

(53) Ebd., S. 187.

(54) Ebd., S. 184f.

(55) Vgl. seinen Lebenslauf ausführlich in ebd., S. 267ff.

(56) Zu diesem Ergebnis kommt auch Karin Orth für Abteilungsleiter der Konzentrationslager.

(57) Vgl. ebd.