Bei diesem Gebäude handelt es sich um die ehemalige Häftlingsküche. Hier mussten Häftlinge arbeiten, u. a. als Kartoffelschäler im Keller. Auch hier wurden Häftlinge misshandelt, der SS-Küchenchef hatte willkürlich u. a. Häftlinge ins kalte Wasser des Kartoffelbeckens drücken lassen mit dem Kopf unter Wasser. Harry Naujoks beschreibt seinen ersten Kontakt 1936 mit der Küche:
"Erich Klann [...] reiht uns in die Kolonne der Essensholer ein. Der Küchenchef, SS-Hauptscharführer Bernhard Rakers, beschäftigt sich gerade damit, die vor der Küche aufmarschierenden Essensholer mit einem scharfen Wasserstrahl auf 'Vordermann' zu bringen."
Naujoks, Harry: Mein Leben im KZ Sachsenhausen 1936-1942. Erinnerungen des ehemaligen Lagerältesten, Berlin 1989, S. 32.
Bezüglich des SS-Ranges irrt sich hier Naujoks, denn Rakers brachte es zwar zum Hauptscharführer, lt. des Landgerichts Osnabrücks aber erst 1941. 1936 war er nur Rottenführer.
Er war gelernter Bäcker, trat im März 1933 in die NSDAP und SA ein. Aufgrund von Arbeitslosigkeit (Als Bäcker konnte er wegen einer Berufskrankheit nicht mehr arbeiten, andere Bewerbungen wurden abschlägig behandelt), bewarb er sich für eine Ausbildung für SA-Wachmannschaften im KZ Esterwegen. Die militärische Ausbildung brach er angeblich ab, er wurde aber in der dortigen Beamtenküche Koch. Als das Lager von der SS übernommen wurde, wurde er SS-Anwärter, machte Karriere und stieg bis zum SS-Hauptscharführer auf (1941).
Bernhard Rakers hatte häufiger Häftlinge mittels Wasser ermordet, im KZ Sachsenhausen hatte er einen sehr schlechten Ruf. Unter anderem er brachte Häftlinge mittels eines Wasserschlauchs zu Tode. Im Verfahren in Osnabrück wurde er u. a. wegen eines Mordes in der Küche verurteilt:
"Im November 1940, zu einer Zeit, als die Baracken noch nicht geheizt waren, war im KL Sachsenhausen ein kleiner, schmächtiger Häftling namens Roth, der nicht zur Arbeit eingeteilt war, sondern "Stehkommando" machte. Er war kränklich. Als er eines Nachmittags bei kaltem Regenwetter mit etwa 200 anderen Häftlingen als Essenholer eingeteilt war, bespritzte der Angeklagte mit dem Wasserschlauch aus der Küche die Essenholer. Dabei bekam Roth den vollen Wasserstrahl in den Mund. Roth, der Bettnachbar des Zeugen B. war, bekam Schüttelfrost und starb in der anschliessenden Nacht. Der Zeuge fand Roth morgens beim Erwachen tot neben sich liegen."
LG Osnabrück vom 10.02.1953, 4 Ks 2/52, abgedruckt in Justiz und NS-Verbrechen, Bd. X, S. 354
Der polnische Häftling Stanislaw Urbanczyk, inhaftiert vom November 1939 bis Februar 1940, beschreibt die Kellerräume:
"Die Kellerräume waren riesig, gestützt durch dicke Pfeiler. Dazwischen zogen sich lange Reihen von Bänken hin und davor standen die Blechtröge für die geschälten Kartoffeln. [...} Es war unerhört schmutzig und der Gestank der faulenden Kartoffeln drang durch die Nase hoch ins Gehirn. Die Kartoffeln kamen von Lagerhallen und Mieten und waren zum großen Teil durchgefroren und verfault. Gewaschen wurden sie nicht, und wenn ein Häftling mal versuchte, sie abzuspülen, dann setzte es Schläge."
der große Trog im Keller, in dem die Kartoffeln gelagert wurden
Hier sind die Häftlinge zu sehen. Das Foto wurde 1937 aufgenommen, damals wurden die Kartoffeln noch im Erdgeschoss geschält. Das Schälen fand später im Keller statt. Das Kartoffelschälkommando wurde scharf bewacht, um zu verhindern, dass sich Häftlinge an den Nahrungsmitteln selbst bedienen.
Die Kessel, in denen gekocht wurde, befanden sich mittig in der Häftlingsküche. Bildnachweise: Morsch, Günter (Hrsg.): Von der Sachsenburg nach Sachsenhausen. Bilder aus dem Fotoalbum eines KZ-Kommandanten, Berlin 2007.
Der Häftling Stanislaw Urbanczyk war Professor für polnische Sprachwissenschaft, er wurde am 28. November 1939 in Sachsenhausen eingeliefert, am 4. März 1940 nach Dachau überstellt und am 21. 12. 1940 entlassen.(1) Er wurde im Rahmen der sg. "Sonderaktion Krakau" verhaftet.
Anfang November 1939, also zwei Monate nach dem Überfall auf Polen, wurden 183 polnische Mitarbeitende der Jagillionen-Universität und der Bergakademie verhaftet. Sie wurden unter einem Vorwand in die Universität gelockt. Der Lehrbetrieb war aufgrund einer deutschen Verfügung bereits unterbrochen. Der Rektor der Universität erhielt Anfang November 1939 vom SS-Sturmbannführer Bruno Müller einen Brief mit der Aufforderung, in einem vom Einsatzkommando genutzten Gebäude zu erscheinen für einen Vortrag über "den deutschen Standpunkt in der Wissenschafts- und Hochschulfrage". Per Aushang wurde der Vortrag bekannt gegeben, damit alle Hochschulprofessoren erscheinen können. Pünktlich um 12 Uhr erschien Bruno Müller bewaffnet. das Gebäude wurde umstellt, Straßen abgesperrt. Alle sich im Gebäude sich befindenden Personen wurden verhaftet, man ließ nur Frauen und Professor Jan Olbricht gehen, den man als Gerichtsmediziner brauchte. Die anderen wurden in ein Gefängnis gebracht, selbst diejenigen, die sich zufälligerweise im Gebäude aufhielten. Letztlich wurden sie in ein als Lager genutztes Kasernengelände gebracht. Dort wurde nur der Professor für deutsches Recht, Fryderyk Zoll, am 7. November entlassen, da er aufgrund seiner Professur den Generalgouverneur Hans Frank, der selbst Jurist war, persönlich kannte. Zwei Tage später wurden die anderen in Gefängnisse nach Breslau gebracht, Ende November 1939 erfolgte die Einlieferung in das KZ Sachsenhausen.
Zwei der Inhaftierten wurden als Juden separiert und in die Judenblocks gebracht in die Baracke 38.(2)
Die Verhaftung sorgte international für Aufruhr, verschiedenste Organisationen, ausländische Hochschullehrer, Angehörige und Staatschefs, darunter sogar Mussolini, setzten sich für die Professoren ein.
Am 8. Februar wurden die über 40jährigen Professoren aus Sachsenhausen entlassen, sie wurden unter Bewachung nach Krakau gebracht, der dortigen Gestapo übergeben zur Freilassung.
43 weitere unter 40jährige wurden zunächst nach Dachau überstellt am 4. März 1940. Einige mussten auf ihre Entlassung allerdings bis Oktober 1941 warten.
Die beiden jüdischen Häftlinge wurden nicht entlassen. Joachim Metallmann, Professor für Philosophie, wurde nach Buchenwald überstellt und verstarb dort im August 1942. (3) Leon Sternbach, Professor für klassische Philologie und Hellenistik, wurde vom Blockführer Gustav Sorge am 21. Februar schwer misshandelt und ermordet. Sorge wurde Ende der 50er zu lebenslanger Haft vom Landgericht Bonn verurteilt. U. a. wurde ihm dieser Mord nachgewiesen, im Urteil heißt es:
"Zusammen mit dem schon erwähnten Häftling El. befand sich der 75jährige Prof. Leo Sternbach aus Krakau auf Block 37. Am 21. Februar 1940 mussten die Häftlinge dieses Blocks unter der Leitung des Angeklagten Sorge "Sport" treiben. Prof. Sternbach war infolge seines Alters bald nicht mehr in der Lage, mitzulaufen und lehnte sich vor Erschöpfung an eine Barackenwand. Sorge trat daraufhin auf ihn zu und schlug ihn mit den Worten nieder: "Warum läufst du nicht?" Prof. Sternbach bat den an ihm vorbeilaufenden Zeugen El. um Wasser und um Hilfe. Dieser konnte ihm natürlich nicht helfen. Bei dem wiederholten Vorbeilaufen an dem Liegenden sah der Zeuge, wie Sorge weiter auf diesen mit einem Knüppel einschlug. Nach Beendigung der Aktion wurde Prof. Sternbach von Mithäftlingen in die Baracke hineingetragen. Er war bereits tot.
Am nächsten Tage wurde der Getötete in die Leichenkammer verbracht. Als der Zeuge El. zwei Tage später dazu abkommandiert wurde, Särge auf einen Lastwagen zu laden, sah er einen Sarg mit der Aufschrift: "Jude Leo Sternbach". Auf Grund der Sterbeurkunde ist der Tod des Prof. Leo Sternbach am 21. Februar 1940 mit der angeblichen Todesursache "Darmkatarrh" eingetreten."(4)
Insgesamt verstarben in Sachsenhausen 13 Hochschulangehörige. Die entlassenen Häftlinge waren allerdings erneuten Repressalien im besetzten Polen ausgesetzt, so daß durchaus später umgekommen sind. Der katholische Theologe und Professor für das Alte Testament, Józef Artuchowski beispielsweise, starb Ende August 1944 während des Warschauer Aufstands.
Osteuropäische Völker ("Slawen") wurden als minderwertig betrachtet. Ihnen sollte keinerlei Bildung zugebilligt werden. Polen hatte unter dieser Ideologie besonders zu leiden, denn aufgrund aus polnischen Teilungen resultierte hier ein besonderes Nationalgefühl. Das hatte das unmittelbare Vorgehen im Generalgouvernement gegen polnische Universitäten zur Folge als eventueller Träger des polnischen Patriotismus und Widerstands.
In einer Besprechung des Oberkommandos der Wehrmacht und Hitler vom 17. Oktober 1939 wurde u. a. fest gehalten:
Unter Punkt 3)
"Es muß verhindert werden, daß eine polnische Intelligenz sich als Führerschicht aufmacht. In dem Lande soll ein niederer Lebensstandart bleiben; wir wollen dort nur Arbeitskräfte schöpfen. Zur Verwaltung des Landes sollen auch Polen eingesetzt werden. Eine nationale Zellenbildung darf aber nicht zugelassen werden."
Besprechung des Führers mit Chef OKW über die künftige Gestaltung der polnischen Verhältnisse zu Deutschland vom 17. 10. 1939. Nürnberger Dokument 864-PS, abgedruckt im Bd. 26.
Weiter unten unter Punkt 4 heißt es:
"Die Durchführung bedingt einen harten Volkstumskampf, der keine gesetzlichen Bindungen gestattet. Die Methoden werden mit unseren sonstigen Prinzipien unvereinbar sein. Der Generalgouverneur soll der polnischen Nation nur geringe Lebensmöglichkeiten geben und die Grundlage ruf die militärische Sicherheit erhalten."
Besprechung des Führers mit Chef OKW über die künftige Gestaltung der polnischen Verhältnisse zu Deutschland vom 17. 10. 1939. Nürnberger Dokument 864-PS, abgedruckt im Bd. 26.
Mit diesem Auftrag wurde Recht und Gesetz bewusst ausgehebelt.
Unter 6) ist zu lesen:
"Die Führung des Gebietes muß es uns ermöglichen, auch das R e i c h s g e b i e t von Juden und Polacken zu reinigen. Zusammenarbeit mit neuen Reichsgauen (Posen und Westpreußen) nur für U m s i e d lu n g e n. (Vergl. Auftrag Himmler)"
Besprechung des Führers mit Chef OKW über die künftige Gestaltung der polnischen Verhältnisse zu Deutschland vom 17. 10. 1939. Nürnberger Dokument 864-PS, abgedruckt im Bd. 26.
Mit den Vertreibungen sind die Umsiedlungspläne im Rahmen der Germanisierung gemeint, es sollte Lebensraum im Osten geschaffen werden, Juden sollten, so der damalige Plan, aus den annektierten Gebieten (somit rechtlich mit dem Deutschen Reich gleich gestellten Gebieten), ins Generalgouvernement deportiert werden.
Im Protokoll unter der Überschrift "Führer" wurde festgehalten:
"9.) Wir wollen keinen Poln. ,Musterstaat" bilden sondern: 1.) Voraussetzung ruf militärischen Aufmarsch 2.) Verhindern, daß poln. Intelligenz sich als Führerschicht aufmacht!
10.) Führung des Gebietes muß ermöglichen, das Reichsgebiet zu reinigen von Juden u. Polaken. Es soll niederer Lebensstandart dort bleiben. Wir nur Arbeitskräfte dort schöpfen!"
Besprechung des Führers mit Chef OKW über die künftige Gestaltung der polnischen Verhältnisse zu Deutschland vom 17. 10. 1939. Nürnberger Dokument 864-PS, abgedruckt im Bd. 26.
In diesem Zusammenhang sollte darauf hingewiesen werden, dass Polen schon längst bereits als Aufmarschgebiet für den Krieg gegen die Sowjetunion angesehen wurde, deswegen wurde alle Härte eingesetzt, um nicht Ressourcen in Polen zu binden, die man in der Sowjetunion benötigen würde. Am 11. August erläuterte Hitler:
"Alles, was ich unternehme, ist gegen Rußland gerichtet; wenn der Westen zu dumm und zu blind ist, um dies zu begreifen, werde ich gezwungen sein, mich mit dem Russen zu verständigen, den Westen zu schlagen, und dann nach seiner Niederlage mich mit meinem versammelten Kräften gegen die Sowjetunion zu wenden. Ich brauche die Ukraine, damit man uns nicht wieder wie im letzten Krieg aushungern kann."
Hitler erläutert Carl J. Burckhardt [einem schweizerischem Diplomaten, T. B.] sein Lebensraumprogramm, 11. 8. 1939, abgedruckt in Michalka, Wolfgang (Hrsg.): Deutsche Geschichte 1933-1945. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik, Frankfurt a. Main 1994, S. 166.
Hans Frank, Generalgoverneur, sagte am 3. Oktober 1939:
"Drosselung der gesamten Wirtschaft Polens auf das für die notdürftigste Lebenshaltung der Bevölkerung unbedingt notwendige Minimum, Schließung aller Bildungsanstalten, insbesondere der technischen Schulen und Hochschulen zur Verhütung des Nachwuchses einer polnischen Intelligenzschicht in Frage. Polen soll wie eine Kolonie behandelt werden, die Polen werden die Sklaven des Großdeutschen Weltreiches werden!"
[Der Nürnberger Prozeß: Zwanzigster Tag. Freitag, 14. Dezember 1945. Der Nürnberger Prozess, S. 3432
(vgl. NP Bd. 3, S. 644) https://www.digitale-bibliothek.de/band20.htm ]
[Der Nürnberger Prozeß: Zwanzigster Tag. Freitag, 14. Dezember 1945. Der Nürnberger Prozess, S. 3432
(vgl. NP Bd. 3, S. 643-644)
https://www.digitale-bibliothek.de/band20.htm ]
Diese Kolonialpläne haben ihren Ursprung im sogenannten "Generalplan Ost". Hierhinter steht ein Konzept, eroberte Gebiete in Osteuropa zu kolonialisieren, dort Lebensraum zu schaffen. Hierzu gehörte auch, Deutsche bzw. Deutschstämmige dort anzusiedeln, man versprach den Siedlern großzügige Unterstützung und Bauernhöfe. Hierfür aber musste Platz geschaffen werden, ansatzweise kam es bereits zu großen Bevölkerungsverschiebungen. Die Fremdvölkischen mussten hierfür allerdings massiv unterdrückt werden. Heinrich Himmler schrieb 1940:
"Dasselbe, was für diese Splittervölker gesagt ist, gilt in dem entsprechend größeren Rahmen für die Polen. Eine grundsätzliche Frage bei der Lösung aller dieser Probleme ist die Schulfrage und damit die Frage der Sichtung und Siebung der Jugend. Für die nichtdeutsche Bevölkerung des Ostens darf es keine höhere Schule geben als die vierklassige Volksschule. Das Ziel dieser Volksschule hat lediglich zu sein: Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, daß es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav zu sein. Lesen halte ich nicht für erforderlich.
Außer dieser Schule darf es im Osten überhaupt keine Schulen geben. Eltern, die ihren Kindern von vorneherein eine bessere Schulbildung sowohl in der Volksschule als später auch an einer höheren Schule vermitteln wollen, müssen dazu einen Antrag bei den Höheren SS- und Polizeiführern stellen. Der Antrag wird in erster Linie danach entschieden, ob das Kind rassisch tadellos und unseren Bedingungen entsprechend ist. Erkennen wir ein solches Kind als unser Blut an, so wird den Eltern eröffnet, daß das Kind auf eine Schule nach Deutschland kommt und für Dauer in Deutschland bleibt. So grausam und tragisch jeder einzelne Fall sein mag, so ist diese Methode, wenn man die bolschewistische Methode der physischen Ausrottung eines Volkes aus innerer Überzeugung als ungermanisch und unmöglich ablehnt, doch die mildeste und beste."Heinrich Himmler "Einige Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten" vom 15. Mai 1940, in: Michalka, Wolfgang (Hrsg.): Deutsche Geschichte 1933-1945. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik, Frankfurt a. Main 1994, S. 238.
Abschließend sei noch angemerkt, dass die physische Ausrottung "als bolschewistische Methode" hier Himmler ausdrücklich auf die möglicherweise eindeutschungsfähigen arisierbaren Kinder bezieht. Himmler hatte eine sehr spezifische Vorstellung der "bolschewistischen Methode": Seiner Meinung nach zeichnete diese sich eben nicht nur durch physischen Mord und Ausrottung aus, sondern auch ideologisch bedingt (universelles Gleichheitsideal) durch Rassenvermischung. Da es diese in seinen Augen nicht geben darf, wird diese Methode abgelehnt. Reine Gewaltanwendung verbindet er eher mit Dschinghis Khan.(5)
Die Verpflegung muss in drei zeitliche Abschnitte eingeteilt werden:
1. In die Jahre 1936 bis zum Kriegsbeginn
2. In die Jahre ab September 1939 bis Frühjahr 1942
3. In die Jahre ab Frühjahr 1942
Im allgemeinen wurde die Versorgung mit Nahrungsmitteln von den Häftlingen trotz der Einseitigkeit noch als tragbar beschrieben. Ausnahmen gab es natürlich, zu den Lagerstrafen gehörte auch Nahrungsentzug sogar als Sippenstrafe für ganze Blocks.
"Das Essen ist im allgemeinen erträglich. Zweimal die Woche Steckrüben, zweimal Kohl - das ist fester Bestand. Dann im Wechsel Graupen, Reis, Hülsenfrüchte, braune Soße mit Fleischstückchen- Gulasch genannt. Brot gab es für jeden 500 Gramm am Tag. Für den Abend 25 Gramm Margarine oder Schmalz oder 25 Gramm Fleischwurst ('Gummiwurst'). Abends einen Becher Ersatzkaffee zum Brot, morgens im Wechsel einen Becher Ersatzkaffee, dann Haferflocken, am anderen Tag Sago aus Kartoffelmehl, dann Hafergrütze. Wer Geld hat, kann sich in der Häftlingskantine etwas dazu kaufen."
Naujoks, Harry: Mein Leben im KZ Sachsenhausen 1936-1942. Erinnerungen des ehemaligen Lagerältesten, Berlin 1989, S. 69.
Die einseitige Nahrung (es fehlten Fette, Vitamine und Mineralien) zogen natürlich Krankheiten nach sich. Generell bereitete die Versorgung der Häftlinge nach Masseneinweisungen große Probleme, es mangelte in solchen Fällen auch an Geschirr. Die Möglichkeit, in der Häftlingskantine einzukaufen, war für die Versorgung von äußerster Wichtigkeit. Häftlinge durften monatlich Post bekommen und auch einen Geldbetrag, der auf ein Konto eingezahlt werden konnte. Zuviel Geld durfte man nicht bei sich haben, dies konnte schwere Strafen nachsichziehen. Die Kantine befand sich ab 1938/39 in der Baracke 33.
"'Wir hatten Einkauf', hieß es in der Lagersprache. Das war natürlich nur möglich für diejenigen, die Geld von ihren Angehörigen erhielten [...}. Ich bekam fast regelmäßig drei Mark im Monat [...}. Es kam aber auch vor, daß ein Monat ausfiel. Wenn ich auch nicht viel damit anfangen konnte, hatte ich doch etwas Geld [...]."
Naujoks, Harry: Ebd., S. 96.
Von der Kantine konnten nicht alle Häftlinge gleichermaßen profitieren. Der jüdische Häftling Franz Memelsdorff, der im November 1938 nach dem Pogrom in Sachsenhausen inhaftiert war, beschreibt:
"In der Kantine gab es viele schöne Dinge zu kaufen. Wurst und Käse, Brot und Margarine (in der Kantine hing ein Schild: 'An Juden wird keine Butter verkauft!'), Schokolade und Bonbons, Zahnpasta und Zahnbürsten und einiges andere. Schwierig war für uns der Einkauf, da 'die Juden' die Kantine nicht betreten drften, und nun ein Mann des Stubendienstes den gesamten Einkauf für die Blockinsassen besorgte. Man musste also am Abend vorher genau angeben, was man haben wollte, und dem Kameraden Werner vorher das Geld entsprechende Geld geben. Kleingeld war rar, und oft gab man 1 RM, wenn man etwas für 10 oder 15 Pfennige haben wollte. Wegen der gfehelenden Unterbringung konnte man immer nur kkleinste Quantitäten kommen lassen. Trotz dieser Schwierigkeiten war die Kantine eine segensreiche Einrichtung. Dass die Kantine nicht im Interesse der Häftlinge unterhalten wurde, war uns im Übrigen völlig klar. Die Preise waren so hoch angesetzt, dass die Kantinenverwaltung bei dem ungeheutren Umsatz riesige Gewinne erzielen musste."
Memelsdorff, Franz: Fünf Wochen im Konzentrationslager Sachsenhausen, in: Memelsdorff, Franz/Heller, Georg: Im KZ. Zwei jüdische Schicksale 1938/1945, Frankfurt a. Main 2012, S. 73.
Außenkommandos mussten teilweise für die Mittagsausgabe wieder ins Lager zurück marschieren, zu anderen hatte man die Kübel transportiert. Diese Transportwege waren auch ein Grund, aus Außenkommandos dann Außenlager zu machen teilweise mit eigener Infrastruktur.
Der Kriegsbeginn bedeutete für die Häftlinge einen drastischen Einschnitt mit vielen Verschlechterungen. Die Nahrungsrationen wurden gekürzt, außerdem kamen immer mehr Häftlinge aus dem Ausland ins Lager, so daß als Konsequenz weniger Nahrung für immer mehr Häftlinge verwendet werden musste, zumal Häftlinge aus osteuropäischen Ländern bereits im Vorfeld schlechter behandelt worden sind vor ihrer Einlieferung nach Sachsenhausen, so daß deren Ernährungs- und Gesundheitszustand besonders schlecht war.
Der Lagerälteste Harry Naujoks erinnert sich:
"Am Nachmittag läßt Sorge mich kommen. Als zweiter Rapportführer gibt er mir Anweisungen, die die Lagerführung anläßlich des Krieges für die Häftlinge festgelegt hat. [...] Die Lebensmittelrationen werden bedeutend gekürzt, das Angebot der Kantine wird verringert.[...] Was uns von einem Tag auf den anderen am meisten trifft, ist die Kürzung unserer Lebensmittelrationen. Zum Mittag gibt es einen Liter Suppe. die immer dünner wird. An Fleisch-, Fett- und Gemüsezugaben wird gespart: beim Brot nimmt die Beigabe an Streckungsmitteln zu. Noch können Gefangene, die Geld haben, einige Lebensmittel und Tabakwaren in der Häftlingskantine bekommen, aber auch das wird spürbar weniger. Nach dem 1. September 1939 wird der Verkauf von Butter-, Wurst, Kaffee und anderen lebensmitteln eingestellt. Vor allem verteuert sich der Einkauf von Lebensmitteln durch Koppelungskäufe, die den größten Teil des Geldes der Gefangenen verschlingen. So mußten zum Beispiel große Mengen 'Sudetenquell' gekauft werden, um ein Glas Marmelade oder etwas Tabak erwerben zu können. 'Sudetenquell' war ein Mineralwasser, das von der 'Sudetenquell GmbH', einem SS-Betrieb, vertrieben wurde."
Ebd., S. 139f.
Die gekürzten Lebensmittelrationen stießen jetzt auf die durch Mangelernährung gekennzeichneten Häftlinge aufgrund der einseitigen Ernährung der Vorkriegszeit. Außerdem war die wenige Nahrung nunmehr von minderer Qualität. Der erste Kriegswinter war besonders kalt, er blieb den Häftlingen als "Hungerwinter" in Erinnerung.
"Es muß im November gewesen sein, als vor der Häftlingsküche ein Lastwagen, hoch mit Kartoffeln beladen, vorfuhr. Wir hatten eine Tagestemperatur von Minus 12 Grad. Viel Schaden konnten diese Temperaturen bei den Kartoffeln nicht mehr anrichten, weil sie sowieso schon erfroren waren. [...] So kamen Lastwagen, bis die Keller bis unter die Decke gefüllt waren. Aus Bohlen wurden Spundwände gezogen, die es ermöglichten, die Kartoffeln bis unter die Decke zu lagern. [...} In den Kellern wurde es aber warm wie in überheizten Räumen, und so dauerte es nicht lange, bis die Kartoffeln zu gären begannen. Der Fußboden war mit einer stinkenden Brühe bedeckt, es roch noch schlimmer als in einem Schnapsfaß. [...] Anfangs konnten die Kartoffeln noch geschält werden, später war auch das nicht mehr möglich, und so wurden Stück für Stück gewaschen, faule Stellen heraus gedrückt. Was dann übrig blieb, wurde noch in das Essen gegeben. Wir hatten nichts verloren, wenn die Steckrüben-, Kohl-, Mohrrüben- oder Fischsuppen ohne Kartoffeln gekocht wären, weil auch die Kohlrüben und Kohlköpfe erfroren waren. Mit diesen Bestandteilen wurde jede Suppe zur stinkenden Brühe. [...] Jeden Mittag, wenn wir vor unseren Schüsseln mit der widerlich riechenden Brühe saßen, standen wir vor der Frage, ob wir nicht darauf verzichten sollten. Verzichten konnte aber nur, wer noch andere Möglichkeiten hatte, und so trieb uns der Hunger, wenigstens die festen Stückchen Kohl oder Rüben herauszusuchen und herunterzuwürgen. Für den Rest fanden sich vor den Blocks noch Dutzende sogenannter 'Muselmänner' als Abnehmer, so wurden die nur noch vegetierenden, seelisch und körperlich heruntergekommenen Häftlinge genannt."
Ebd., S. 160ff
Häftlinge, die in der SS-Kantine arbeiten mußten, sind gezwungen worden, Fleisch von Knochen zu lösen und das gute Fleisch für die SS zu verwenden, die Knochen kamen in die Häftlingssuppe. Außerdem hatte die SS ihre Pferde und Hunde aus den Beständen der Häftlingsküche miternährt. Aufgrund der steigenden Häftlingszahlen war nicht für alle Arbeit vorhanden. Anfang Dezember mußten nur noch 50% der Häftlinge arbeiten, Ende Dezember ungefähr 30%.(6)
Diese Minderbeschäftigung hatte auch Auswirkungen auf die Ernährung: Sg. "unnütze Esser" wurden in Stehkommandos in speziellen Häftlingsblcoks zusammen gefasst, die man "Hungerblocks" nannte. In den Blocks durften die Häftlings nur stehen, sich nirgends anlehnen. Die Häftlinge in den "Hungerblocks" bekamen noch wenger Essen, viele starben. Manche Häftlinge versuchten, sich mit Pflanzenwurzeln und Schnecken zu ernähren.
Der Häftling Erich Ott schrieb:
"Wann wird es den nächsten treffen? Wer wird der Nächste sein? Wir sind alle herunter. Zu Skeletten abgemagert. [...] Beim Duschen erschrickt einer über den anderen. Die Schulterknochen sind herausgetreten. Die Schlüsselbeinknochen vorgesprungen. [...] Die Rippen sind einzeln zu zählen. [...] Von weitem. In allen Gedärmen bohrt der Hunger. Hunger ist grauenhaft. Wir oft finden wir morgens den als Leiche kalt und starr neben uns, mit dem wir abends von daheim erzählten."
Erich Ott, zitiert nach: Kaienburg, Hermann: Das Konzentratiosnlager Sachsenhausen 1936-1945. Zentrallager des KZ-Systems, Berlin 2021, S. 247.
Verstarben im September 1939 "nur" 47 Häftlinge, waren es im Januar 1940 681. "Von Dezember 1939 bis Mai 1940 starben demnach fast 3000 Häftlinge; dies entsprach etwa einem Viertel der Lagerstärke."(7)
Unter den Häftlingen kam es vermehrt zu Diebstählen, insbesondere Brot war begehrt. Manche Blockälteste sammelten das Brot ein und verteilten es je zur Hälfte morgens und abends, wer Brot gestohlen hatte und erwischt wurde, wurde von Häftlingen verprügelt. es wurden auch Aufenthaltsverbote im Tagesraum untersagt. Teilweise hatten einige die drakonischen Strafen der SS übernommen. Der Mangel führte zu einer Verstärkung der Schattenwirtschaft. Durch Beziehungen oder durch den Einsatz in bestimmten Arbeitskommandos (zum Beispiel in der Kantine der SS auf dem Truppengelände) konnte man für sich oder auch für andere Nahrung schmuggeln. Rücksichtslose Häftlinge zweigten aus den Blocks Nahrung für den Schwarzhandel ein:
"Es gibt drei Währungen im Lager: Die heißen eine Kuhle, das ist eine Brotration, ein Priem [Kautabak, T. B.] und eine Zigarette. Diese drei Valuten wechseln ständig im Kurs, aber sie beherrschen das illegale Lagerleben."
Der Häftling Albert Christel, zitiert nach: Ebd., S. 246.
Die hohe Sterblichkeit fiel auch den Verantwortlichen auf, partiell hatte man versucht, die Lage zu verbessern. In der Kantine konnte zusätzlich Brot gekauft werden, das ab Frühjahr 1940 dort in ausreichender Menge vorhanden war, profitieren konnten davon natürlich nur Geldempfänger. Humane Blockälteste sorgten dafür, dass alle vom Brot etwas abbekamen, jeder der für sich etwas kaufte, mußte auch etwas für mittellose Häftlinge kaufen.
In verschiedenen Arbeitskomamndos gab es eine Schwerarbeiterzulage, beispielsweise das Bombensuchkommando, Baustellenkommandos, aber auch einfachere Arbeistkommandos. Lt. dem Lagerältesten bekamen etwa 50% der Häftlinge die Zulage.(8) Dennoch blieb die Versorgungslage desolat schlecht. Die Sterblichkeit sank zwar, allerdings überstellte man 1940 6500 geschwächte Häftlinge nach Dachau, auch im Rahmen der sg. "Euthanasie-Aktionen" kamen im Juni 1941 selektierte Häftlinge aus dem Krankenbau zur Tötung nach Sonnenstein bei Pirna (Dresden).(9)
Aufgrund des Kriegsverlaufs erkannte man, dass die Häftlinge verstärkt für den Arbeitseinsatz benötigt werden. Immer mehr Arbeitsplätze in allen Branchen wurden frei, da Deutsche als Soldaten im Einsatz waren, ebenso musste die Arbeit in der Rüstungsindustrie verstärkt werden. Strukturell wird dies an der Tatsache deutlich, dass man die IKL dem Wirtschaftsverwaltungshauptamt unterstellt hatte.
Dies hatte aber für die Ernährungssituation zunächst keine Auswirkungen, im Gegenteil: Die Rationen wurden weiterhin gekürzt Anfang April 1942. Die Normalration bestand wöchentlich aus:
Die Versorgung der Häftlinge spiegelt die kriegsbedingte Mangellage wieder, die Sterblichkeit steig wieder deutlich an im Winter 1942/1943. Monatlich starben durchschnittlich in etwa 500 Häftlinge. Die Mehrheit der Häftlinge bekamen noch eine Schwerarbeitszulage, die aber letztlich das Überleben ebenfalls nicht sichern konnte.
Viel wichtiger war, und darauf hatte man kaum Einfluss, der Ort des Arbeitseinsatzes. Lediglich die an entsprechenden Positionen sitzenden Funktionshäftlinge konnten dies. Hiervon hing ab die Schwere der körperlichen Arbeit, aber auch deren Versorgung, da es durchaus Zwangsarbeitsplätze gab mit besserer Versorgung, sogar selbst bei der von der SS betriebenen. Darüber hinaus natürlich Häftlinge, die in besonderen Arbeitskommandos als Spezialisten galten wie zum Beispiel die jüdischen Häftlinge in der Fälscherwerkstatt. Aber auch Häftlinge in der Kraftfahrttechnischen Versuchsanstalt bekamen mehr Nahrung, in der SS-eigenen Brotfabrik setzte der Werkleiter durch, dass jeder Häftling soviel Brot essen kann, wie er wolle, die Ehefrau setzte sogar durch, dass die Häftlinge zusätzlich 250 Gramm Wurst erhielten.(11)
Solche Privilegien galten natürlich bei weitem nicht für alle Zwangsarbeitsplätze. Wichtiger für die Häftlinge wirkte sich aus, dass man ab Oktober 1942 Lebensmittelpakete empfangen konnte von Angehörigen und vom Roten Kreuz. Im Laufe der Zeit wuchs die Anzahl der Pakete drastisch an, im Postamt Oranienburg wurde hierfür eine eigene Baracke errichtet. Zusammen mit anderen Waren verstärkte sich auch der Tauschhandel erneut. Durch Netzwerktätigkeiten konnten die Norweger schnell an Pakete gelangen, da es Verbindungen zu norwegischen Familien gab, die im Berliner Umland lebten.(12)
Das Internationale Rote Kreuz hatte sich schon seit 1942 mit mäßigem Erfolg bemüht, den Häftlingen zu helfen. Ab Frühjahr 1943 gab es eine offizielle Genehmigung.
"Die im Sommer 1943 dazu in Genf eingerichtete Dienststelle brachte von da an laufend Pakete auf den Weg. Bis zum Mai 1944 stieg ihre Zahl auf 5500 pro Monat. Im Sommer 1944 verfügte das IRKR über die Namen der meisten Norweger sowie vieler niederländischer und polnischer Gefangener in Konzentrationslagern; auch mit französischen Namen kam man gut voran."
Kaienburg, Hermann: a. a. O., S. 334.
Ab Herbst 1943 konnten auch kollektive Gruppensendungen für die jeweiligen Nationalitäten versendet werden, so gab es Kollektivsendungen für die jeweiligen nationalen Häftlingsgruppen.
"In das KZ Sachsenhausen sandte das IRKR zwischen August 1944 und Ende Februar 1945 mindestens 86.121 Pakete, in der Regel in etwa mit drei Kilogramm Gewicht, davon ca. 36% für Franzosen, 27% für Norweger, 17,5% für Polen11% für Belgier, 5 Prozent für Niederländer und die übrigen für Griechen, Spanier, Jugoslawen und andere."
Ebd., S. 334
Der rege Paketversand darf nicht darüber hinweg täuschen, dass viele Häftlinge mehr oder weniger leer ausgingen, insbesondere aus den osteuropäischen Ländern, da der Frontverlauf dafür sorgte, dass die Versandwege zunehmend eingeschränkt wurden. Dies traf im weiteren zeitlichen Verlauf natürlich auch auf andere Nationalitäten zu, so dass immer mehr Häftlinge ausschließlich auf Sendungen des IRKR angewiesen waren, da Familienangehörige keine Pakete mehr versenden konnten. Ab Mitte 1944 konnten Polen und Franzosen keine Pakete mehr empfangen, ab Anfang 1945 traf dies auch auch Deutsche.
Außerdem kam es nicht selten vor, das die Lager-SS den Paketempfang als Strafmaßnahme untersagte, sich auch aus den Paketen bedienten, Nahrung aufgrund der langen Versandwege auch verdorben waren.
Ab 1942 verbot man den Besitz von Bargeld, mit dem Einkauf wurde das Konto belastet. Ab November 1943 sind gute Arbeitsleistungen mit Prämienscheinen vergütet worden, die in der Kantine eingesetzt werden konnten.
Das Angebot in der Kantine schwankte stark hinsichtlich der Quantität und Qualität. Aufgrund der hohen Anzahl der Häftlinge fand der Verkauf in den Häftlingsblocks statt, auf Bänken und Tischen wurde das Angebot ausgebreitet. So gab es ab und an eher vergleichsweise höherwertige Wurst, aber auch schimmeligen Kautabak oder mit Maden durchsetzten Quark.
Die Jüdin Eva Fejer kam Ende 1944 nach Ravensbrück und wurde ins Außenlager Genshagen (Daimler-Benz) eingesetzt, das zu Sachsenhausen gehörte. Sie berichtete:
"Die Tagesration: Früh gab es das übliche braune Wasser; mittags um 12 Uhr 333 (Gramm), mitunter 500 Gramm Brot, und abwechselnd die in Konzentrationslagern üblichen Zulagen, wobei es vorkam, daß wir auch feinste ungarische Salami erhielten, freilich in unscheinbarer Menge. Abends erhielten wir um halb acht einen Liter dicker Suppe, entweder Kohlsuppe oder - an Feiertagen - Erbsensuppe oder eine Gerstensuppe, auf deren Oberfläche Maden schwammen, was uns keineswegs störte. Wir sagten uns: es ist Protein."
Fejer, Eva: Als Dolmetscherin im Werk Genshagen, Yad Vashem, Jerusalem, Signatur 02/70, Archiv Sachsenhausen R 89/8.
Der individuelle Paketempfang konnte das Überleben sichern:
"Je nach Bestandslage" (siehe oben) hatte zur Folge, dass diese Lebensmittel nicht immer zur Verfügung standen, besonders Kartoffeln waren kriegsbedingt Mangelware im KZ:
"Die Kartoffeln verschwinden mehr und mehr vom Speisezettel (sie gehen nach Berlin), an ihre Stelle treten Kohl- und Kohlrabisuppe. [...]. Wenn wir uns den ganzen Winter von jener Suppe und dem Brot mit dem 'Talgaufstrich' werden ernähren sollen, dann werden wir wohl Muselmänner alle miteinander"
Der norwegische Häftling Odd Nannsen: Von Tag zu Tag, Hamburg 1949, S. 118, Tagebucheintrag vom 1. Dezember 1943.
Die Schattenseiten waren aber auch Tauschhandel und Diebstähle. Gerade die osteuropäischen Häftlinge bettelten um Nahrung, teilweise hatten verzweifelte Russen und Ukrainer "Banden" gebildet, die in der Dunkelheit andere Häftlinge überfielen.
Die Ernährungssituation war trotz der Pakete verheerend.
"Wenn der Bettkamerad stirbt, unterläßt es der Überlebende oft, den Todesfall zu melden, und bleibt mit der Leiche im Bett liegen, nur um die Ration Essen zu bekommen, die dadurch 'frei' wird."
Odd Nasen: Von Tag zu Tag: a. a. O., S. 68 am 12. Oktober 1943.
Beim Zählappell konnte der verstorbene Häftling nicht auffallen, da Nannsen sich am 12. Oktober 1943 noch in der Quarantäne befand. In diese mussten alle Häftlinge für zwei Wochen nach der Einlieferung, dort wurde nicht gearbeitet, man blieb in den Baracken.
Sehr treffend beschreibt Nannsen die Wichtigkeit der Pakete:
"Im übrigen ist die Kost natürlich nicht ausreichend. Darum hungert man auch langsam, aber sicher. Die Norweger bleiben am Leben und in relativ guter Verfassung dank der Pakete aus Schweden und Dänemark. Diese Pakete sind von unermeßlicher Bedeutung. [...] Unsere Kameraden, die schon lange hier sind und schon seit langem in Verbindung mit der Heimat stehen, bringen uns Ölsardinen, Knäckebrot, Käse und alle Herrlichkeiten der Welt, was alles im Nu aufgegessen wird. Alle haben noch einen Hohlraum im Magen, der aufgefüllt werden muß [...]. Unterernährungserscheinungen bleiben nicht aus."
Ebd., S. 66, Eintrag vom 11. Oktober 1943, Hervorhebung von mir.
Hier ist zu beachten, dass Nannsen zu diesem Zeitpunkt nicht arbeiten musste, sich wenig körperlich betätigen musste, dennoch aber auf externe Nahrungsmittel angewiesen war und es dennoch zu Mangelernährung kam, obwohl er zu den privilegierten Häftlingen zählte.
Auch die Bettelei fiel ihm auf:
"Wir aßen gebratenen Hering (den bekommen wir Norweger durch das Norwegische Rote Kreuz). Die Eingeweide der Heringe, die Haut, die Gräten, die Schuppen und der übrige Unrat lagen in Haufen auf dem Tisch. Dieser Ukrainer kam nun den Tisch entlang geglitten, steckte die Hand verstohlen zwischen unsere Schultern, ergriff die Heringsabfälle und füllte damit seine Mütze. Danach stopfte er alles in seine Hosen- und Jackentaschen und fuhr weiter damit fort, seine 'reiche Ernte' einzuheimsen. Armer Kerl! Einige jagten ihn weg. Das ist so üblich hier. Das einzige, wofür diese Menschen empfänglich sind, sind harte Worte, Schläge und Stöße, dann schleichen sie weg [...]. Was sie tun, ist natürlich strengstens verboten und wird, wenn sie entdeckt werden, meist mit fünfundzwanzig Stockschlägen belohnt."
Ebd., S. 62, Eintrag vom 11. Oktober 1943.
Etwas später schildert Odd Nannsen:
"Zu dieser Szene gehören auch die 'Muselmänner'. Sie gehen herum und sammeln Kartoffelschalen in ihren Mützen und essen sie. Die meisten von ihnen sind welk aussehende, knochenmagere Russen und Ukrainer, aber es kommt auch vor, daß hier und da einer einer anderen Nationalität angehört. 'Muselmänner' nennt man diejenigen, die soviel gehungert haben, daß sie anfangen, von dem nahe bevorstehendem Untergang gezeichnet zu werden. Sie werden bald 'durch den Schornstein gehen', wie es heißt." [...] Es ist die ärmste und traurigste Gesellschaft, die ich jemals gesehen habe, die da in ihren gestreiften, überschmutzigen Lumpen herumschleicht [...].
Ebd., S. 81, Eintrag vom 24. Oktober 1943.
Hier spiegeln sich auch die Verrohungstendenzen wieder und eben auch die Unterschiede zwischen den Häftlingsgruppen, die unter den Bedingungen des KZs sich eher noch verstärken als zu grundsätzlichen solidarischen Handelns führte. Umso mehr muss jede solidarische Handlung im (Über)lebenskampf gewürdigt werden. Odd Nannsen merkt dies selbstkritisch an in einer langen Reflexion über die unterschiedliche Wahrnehmung der Häftlingsgruppen, letztlich haben sich auch die Hierarchien der SS auf die Häftlingsgesellschaft übertragen:
"Wenn man der Wahrheit die Ehre geben will, muß man gestehen, daß traurig wenig von dem sinnlosen Überfluß, der in den Norwegerblocks herrscht, weggegeben wird ohne Gegenwert. Man handelt und 'organisiert', man verschenkt nicht. Auf diese Weise sind nur die 'Lebenstüchtigen' und 'Geschickten', die etwas bekommen, diejenigen, die stehlen können für jene, die es nicht wagen, sondern es für sicherer halten, mit einer Büchse Sardinen, einem Happen Speck oder einem Stück Käse zu bezahlen. [...] Der Ukrainer ist es, der Russe, der Pole, der das ganze Risiko auf sich nimmt, entdeckt und betraft, wenn nicht gar gehenkt zu werden. Den norwegischen Besitzern von Sardinen, Speck, Käse, Butter, Wurst, Tabak und allen möglichen anderen Herrlichkeiten, die das Leben hier unten erträglich machen, geschieht nichts. Sie verdächtigt keiner. Nein, unser Ruf ist in dieser Beziehung derart gefestigt, daß unsere Schränke nicht untersucht werden, wenn man nach Gestohlenem fahndet, unsere Person wird nicht angetastet. Es heißt, Norweger stehlen nicht. Und sollte es einmal vorkommen, daß ein Norweger auf frischer Tat ertappt wird (und es ist schon vorgekommen) beim Stehlen oder beim verbotenem Rauchen während der Arbeitszeit, und er im Lager gemeldet wird, dann bekommt er keine Schläge mit dem Knüppel wie die Ukrainer, die Polen, die Juden oder die Russen. Nein, dem Norweger geschieht in der Regel nichts. [...] Früher war das anders, in der 'harten Zeit', aber da bekamen die Norweger auch keine Pakete. Und diese Pakete sind es: der Speck, die Wurst, die Sardinen, der Käse und der Tabak, die mehr als alles andere den Norwegern eine Sonderstellung verschafft haben. Daß sie 'Arier' sind und zwar besonders Reinrassige, rangiert erst in zweiter Linie, wenn sie auch von den Deutschen dafür am meisten beneidet und bewundert werden. Dieser Zustand wirkt sich sehr schädlich aus [...} für den einzelnen Norweger selbst. Wir werden tatsächlich großschnauzig und bekommen 'Herrenvolkmanieren'. Mehr und mehr sehen wir es als eine Selbstverständlichkeit an, daß wir eine Sonderbehandlung erfahren, schauen auf andere herab und fühlen uns als hochstehende Tiere."
Ebd., S. 236f, Eintrag vom 14. Dezember 1944.
Ein anderer norwegischer Häftling regt sich über einen aus Auschwitz stammenden norwegischen Juden auf, der in Sachsenhausen Nahrungsmittel in seinem Schrank hortet. Odd Nannsen nimmt den jüdischen Häftling in Schutz und kritisiert seinerseits seinen norwegischen Mithäftling:
"Sie [die Juden, T. B.] kommen aus der Hölle auf Erden. Dort haben sie gelebt und gelitten Monate und Jahre lang und haben mehr durchgemacht, als man für möglich halten sollte, daß Menschen ertragen können. Der Gedanke kam mir: Wie wäre wohl dieser Norweger [also der Mithäftling, der sich über Juden aufregt, T. B.] gewesen, wenn er das durchgemacht hätte? Er hat nichts anderes erlebt als den gewöhnlichen, banalen Verrohungsprozeß, den hier alle durchlaufen [...]."
Ebd., S. 238
Nannsen schließt das Thema ab mit den Worten:
"Wenn ein 'anständiger' Norweger stiehlt, dann ist er leider 'kleptoman'. Es ist schade um den lieben Mann, wer hätte das von ihm geglaubt! [...] Er ist von einer häßlichen und gefährlichen Krankheit befallen [...]. Es gibt auch 'unanständige' Norweger, solche, die früher gestohlen haben. Aber sie bleiben allein mit ihrer Schande und ihrem Elend. Es fällt keinem ein, die Verantwortung mit ihnen zu teilen oder zu denken, daß etwas von ihrer Schande auch auf ihn fällt. Bei weitem nicht! Aber die Schande eines einzigen Juden - sei er nun 'anständig' oder 'unanständig' - verteilt sich gleichmäßig auf sein ganzes Volk. Und so ist es heute auch mit den Polen, Ukrainern und zum Teil auch mit den Russen hier im Lager. das ist grundsätzlich 'Schweinepack'. So sieht unsere Gerechtigkeit aus - Scheinheiligkeit.
Ebd., S. 239.
In den hier betrachteten Zeitraum (Ende 1944) wurden die Kontraste zwischen den Häftlingsgruppen immer stärker, da aufgrund des Kriegsverlaufs KZs im Osten geräumt wurden, immer mehr Häftlinge in seinem sehr schlechten Ernährungs- und Gesundheitszustand nach Sachsenhausen kamen:
"Neulich sprach ich [Nannsen, T. B.] mit einem alten Polen auf diesen Schonungsblock. Er war siebenundsechzig Jahre alt, sah aber aus wie siebenundneunzig. Ich wette, daß an dem alten Mann keine fünf Kilo Fleisch und Mageninhalt waren, wenn man die Knochen, de Sehnen und die Haut abrechnet. Daß er sich überhaupt aufrecht halten konnte, war ein Wunder, das aber offensichtlich bald aufhören würde. [...] Es war ein polnischer Bauer aus der Gegend um Warschau und war hierhin 'evakuiert' worden, hatte gehungert und gelitten, gehungert und gelitten. Er war bereits erloschen, war kein Mensch mehr, nur ein armes, leidendes, immer noch klebendes Wesen, das darauf wartete, Frieden zu bekommen. Es gibt Hunderte und Tausende wie er, unschuldige, ungefährliche - leidende Menschen."
Ebd., S. 235. Eintrag vom 13. Dezember 1943.
Die Blumen stammen von einem Häftling des Konzentrationslagers
(1) Vgl. seinen Lebenslauf in August, Jochen: "Sonderaktion Krakau". Die Verhaftung der Krakauer Wissenschaftler am 6. November 1939, Hamburg 1997, S. 321.
(2) Szalet, Leon: Baracke 38. 237 Tage in den "Judenblocks" des KZ Sachsenhausens, Berlin 2006, S. 242ff.
(3) Vgl. August, Jochen: a. a. O., S.305f.
(4) Urteil gegen Sorge und Schubert, Justiz Und NS-Verbrechen Bd. XV Verfahren Nr. 465 - 479 (1958 - 1959), Verfahren Nr. 473, S. 576f.
(5) Vgl. Breitman, Richard: Der Architekt der "Endlösung". Himmler und die Vernichtung der europäischen Juden, Paderborn u. a. 1996, S. 149ff.
(6) Vgl. Kaienburg, Hermann: Das Konzentratiosnlager Sachsenhausen 1936-1945. Zentrallager des KZ-Systems, Berlin 2021, S. 270.
(7) Ebd., S. 247.
(8) Vgl. ebd., S. 248.
(9) Vgl. ebd., S. 249.
(10) Vgl. ebd., S. 649.
(11) Vgl. ebd., S. 305.
(12). Vgl. ebd., S. 332f.