Zu Zeiten des Speziallagers diente das sg. "kleine Lager" ab 1948 zur Inhaftierung weiblicher Häftlinge. Davor nutze man die Baracken der sg. "Isolation".
Wie bereits ausführlich in der Einleitung am Modell erläutert, wurden in den 50er Jahren viele Originalbauten zerstört. Die beiden Baracken 38 und 39 setzte man nach Vorgaben der ehemaligen Häftlinge aus noch übrig gebliebenen Originalteilen wieder zusammen.(1)
Sogar in der Ausstellung über Juden im KZ Sachsenhausen der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte der DDR fanden sich die eingangs erwähnten zentralen Inhalte:
In der DDR war das Museum des antifaschistischen Freiheitskampfes der europäischen Völker das zentrale Element. Hier wurde der Widerstandskampf in den von Deutschland besetzten Ländern thematisiert entsprechend dem gesetzlichen Auftrag (siehe meine Ausführungen am Modell), der das Geschichtsbild eng definierte. Da jüdische Häftlinge keinerlei Erwähnung fanden im zentralen Museum, protestierte die Union der antifaschistischen Widerstandskämpfer Israels. Bereits in der Gedenkstätte Buchenwald hatte man Juden im dortigen Ehrenhain ausgespart. Der Mediziner Bergmann aus Israel protestierte schriftlich hiergegen und erhielt die Antwort:
"Die in Buchenwald ermordeten Juden kam in dieses Lager als polnische, russische, ungarische, belgische, französische und deutsche Staatsbürger. [...] Mit der Errichtung der Stelen auf der Straße der Nationen ehren wir die nach dem Konzentrationslager Buchenwald verschleppten und dort ermordeten Menschen ohne Unterschied der Rasse, Religion und Weltanschauung."
Georg Spielmann am 25. September 1960, zitiert nach Nieden, Susanne zur: Das Museum des Widerstandskampfes und der Leiden des jüdischen Volkes, in: Morsch, Günter (Hrsg.): Von der Erinnerung zum Monument. Die Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen (=Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 8), Berlin 1996, S. 272-278, hier S. 273, Auslassung im Original.
Dadurch wurden die besonderen Umstände, der Antisemitismus und Rassismus, der zur Verfolgung und zum Holocaust führten, vollkommen ignoriert. Auch das Sachsenhausenkomitee blieb bei der rigiden Haltung, eine Ausstellung über Juden nicht im Museum unterzubringen. Allerdings hatte man aufgrund der außenpolitischen Wirkung Bedenken, das Thema gänzlich fallen zu lassen. So kam es zu einem Kompromiss, der in einem Brief an Georg Spielmann, Leitender Sekretär des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR, folgendermaßen formuliert wurde:
"Selbstverständlich kann und darf man keine 'besondere Ausstellung Israel' auch nur ins Auge fassen. Das ist aus allen politischen Gründen unmöglich. Aber die Massenvernichtung der Juden und das, was die Antifaschisten zum Schutze der rassisch-verfolgten Menschen getan haben, das muß man unbedingt in die Sachsenhausen-Ausstellung hineinbringen. Tut man das nicht, dann leistet man jenen feindlichen Verleumdungen Vorschub, die in der Weltöffentlichkeit bereits mehr als einmal erhoben wurden, daß in der DDR die Leiden der Juden unter dem Hitlerfaschismus nicht genügend beachtet werden."
zitiert nach: Ebd., S. 274, Hervorhebung von mir.
Einmal mehr standen die Aktivitäten der kommunistischen Häftlinge im Vordergrund, die Darstellung des Themas "jüdische Häftlinge" war letztlich allein der Sorge um die außenpolitische Wahrnehmung geschuldet. Bereits in der Antwort klingt deutlich die zukünftige gesetzliche Vorgabe an, den kommunistischen Widerstandskampf in den Vordergrund zu stellen, siehe §2 des Statuts der Nationalen Mahn- und Gedenkstätten. Da die Zeit bereits voran geschritten war, musste man wenige Monate vor der Eröffnung der Gedenkstätte die Ausstellung konzipieren.
Die Geschichte der jüdischen Häftlinge im KZ Sachsenhausen wurde dem gesetzlichen Auftrag untergeordnet, dies verdeutlicht schon der offizielle Titel der Ausstellung: "Das Museum des Widerstandskampfes und der Leiden des jüdischen Volkes".
Die Ausstellung hatte kaum Bezug zu Ereignissen des historischen Ortes Sachsenhausens. Sehr allgemein wurde die antisemitische Verfolgung und Entrechtung der Juden dargestellt. So gab es verschiedene Vitrinen mit Judaica ohne jeden Bezug zum historischen Ort Sachsenhausen, über den Warschauer Ghetto-Aufstand sowie Schautafeln zum Pogrom. Nicht erwähnt wurde beispielsweise, dass man nach dem Pogrom ca. 6000 Juden nach Sachsenhausen deportierte. Im Vordergrund stand der Widerstandskampf, insbesondere wurde die angebliche Rolle der KPD hierbei betont.
Bildnachweis: Foto aus der Ausstellung im "Lagermuseum" (1961)" CC BY-NC-SA Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Auch die Bildsprache ist hier sehr aussagekräftig: Zwei proletarisch anmutende, deutlich größere und kräftigere, aussehende Menschen, stellen sich schützend vor einem kleineren, eher gebildet aussehenden, jüdischen Menschen.
Die Schautafel war rechts neben der "Roten Fahne" kommentiert mit:
"Getreu den stolzen Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung, im wahren Geiste der grössten Deutschen Dichter und Denker, erhebt die Kommunistische Partei Deutschlands ihre Stimme gegen die Judenpogrome Hitlers, die vor der gesamten Menschheit die Ehre Deutschlands ihre Schmach bedeckt haben."
Nicht fehlen durfte die Stellungnahme der KPD zum Novemberpogrom, da auch hier - ganz der Dimitroff-Doktrin verpflichtet, ein Junktim zwischen Kapitalismus und Judenfeindlichkeit hergestellt wurde, um - last but not least - die Sowjetunion positiv hervorzuheben. In der Sonderausgabe der Roten Fahne heißt es u. a.:
"Es ist kein Zufall, dass in der Sowjetunion, dem Lande des Sozialismus, und des wahren Völkerfriedens, wo jede Ausbeutung beseitigt wurde, es keinen Antisemitismus gibt. Es ist ebensowenig ein Zufall, dass in Hitlerdeutschland, wo das ganze Volk von einem Klüngel von Grosskapitalisten beherrscht wird, der Antisemitismus und das Judenpogrom eines der wichtigsten Mittel der Nazidiktatur zur Verteidigung der Ausbeuterherrschaft und zur Inszenierung der Kriegshetze gegen andere Völker geworden ist."
In einem dem voran gegangenen Absatz werden die altbekannten Vertreter des Großkapitals genannt, , in deren Auftrag Hitler handeln soll, die auch in der Ausstellung des Lagermuseums eine wesentliche Rolle gespielt haben:
Es sind die Krupp, Thyssen, Mannesmann, Flick usw., die alten imperialistischen Verderber Deutschlands, die Kriegsgewinnler vom letzten Weltkrieg, die Inflationsgewinnler in der Republik, die Rüstungsgewinnler von heute, in derem Auftrag Hitler bereit ist, das deutsche Volk wieder in einem Krieg hinzuopfern.
Es heißt weiter:
"Immer in der Vergangenheit hat die Reaktion, wenn sie ein Volk aufs Schlimmste ausplündern und die Erbitterung des Volkes fürchtete, sich der schmutzigen Mittel der Judenhetze und der Pogrome zum Zwecke der Ablenkung von den wahren Schuldigen am Volkselend bedient. So war es im Mittelalter. So war es unter dem russischen Zarismus."
Quelle: Rote Fahne, Gegen die Schmach der Judenpogrome! Erklärung des Zentralkomitees der KPD, November 1938.
Hier wurden die Thesen aufgegriffen, die bereits im Museum des antifaschistischen Freiheitskampfes der europäischen Völker in der Deutschlandabteilung eine Rolle spielten und noch einmal im zentralen Lagermuseum wiederholt worden sind, voll ganz dem Statut der Gedenkstätten entsprechend.
Fast die gesamte Ausstellung wurde vom Thema" Widerstand" beherrscht, selbstverständlich unter der Vorherrschaft politischer Häftlinge.
Bildnachweis: Foto aus der Ausstellung im "Lagermuseum" (1961)" CC BY-NC-SA Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Auf der rechten Schautafel ist zu sehen, wie sich jüdische Häftlinge um einen politischen Häftling herum scharen. Der Text erläutert: "Beratungen des politischen Aktivs. Vielfältig waren die Formen des Widerstandes im Lager. In der Baracke 39 gab es anfangs nur drei organisierte Antifaschisten. In Verbindung mit der Widerstandsorganisation begannen sie das Leben in der Baracke zu ordnen. Sie vereinten die 17- und 18jährigen zu einer Widerstandsgruppe und erzogen sie zu antifaschistischen Widerstandskämpfern. Die Kommunisten waren die Seele des Widerstands".
Dieser Text nimmt Bezug auf die Widerstandsaktion vom 22. Oktober 1942. Jüdische Häftlinge sollten nach Auschwitz deportiert werden, im Vorfeld entschlossen sich 18 eher jugendliche jüdische Häftlinge, während des Appells auf die SS-Angehörigen loszugehen in der Erwartung, dass man auf sie schießen würde. Auf diese Weise wollten sie ihrer Deportation nach Auschwitz etwas entgegensetzen. Allerdings wurden sie ohne Schusswaffengebrauch von den Wachmannschaften überwältigt und dennoch nach Auschwitz deportiert.
Dieses Ereignis, auf der linken Schautafel zeichnerisch dargestellt, wurde natürlich dem Geschichtsbild entsprechend überhöht. Als "Rädelsführer" gilt Jonny Hüttner bzw. Nathan Hirschtritt.(2) Bei dieser Schautafel handelte es sich um die einzige mit konkretem Bezug auf das KZ Sachsenhausen.
Selbst im Gedenkraum war das Motiv des Widerstands vorherrschend:
Bildnachweis: Foto aus der Ausstellung im "Lagermuseum" (1961)" CC BY-NC-SA Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Selbstverständlich wurde nicht nur die DDR als das bessere Deutschland dargestellt, sondern die Bundesrepublik als Nachfolgestaat des Dritten Reiches präsentiert. Hierfür nahm man Hakenkreuzschmierereien an der Kölner Synagoge aus dem Jahr 1959 zum Anlass und montierte in ein zeitgenössisches Foto zusätzlich mit dem Rücken zum Betrachter des Bildes Uniformierte hinein:
Bildnachweis: Foto aus der Ausstellung im "Lagermuseum" (1961)" CC BY-NC-SA Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Oben befindet sich eine Bildreihe mit Portraits, die u. a. Abs, Flick, Globke zeigen, in der Mitte Konrad Adenauer, der "Schutzherr Globkes". Links neben der Fotomontage ist zu lesen:
"Der westdeutsche Staat der Imperialisten und Militaristen ist der Herd eines neuen Krieges in Europa und damit eine Brutstätte des Revanchismus und der Rassenhetze."
Mit dieser Schautafel entsprach man der Aufgabe des Statuts, "den wiedererstandenen Faschismus und Militarismus in Westdeutschland" darzustellen. Die beiden 25jährigen Täter wurden übrigens gefasst, sie waren Mitglied der DRP, dem rechtsextremen Vorgänger der NPD (seit Juni 2023 "die Heimat").
Die Ausstellung wurde beendet mit der üblichen Glorifizierung der DDR. Eine Schautafel zeigte eine Collage mit Fotos der Synagoge Rykestraße, Fotos des Denkmals in der Großen Hamburger Straße, das an Deportationen erinnerte u. a. Zitiert wurde der Rabbiner der jüdischen Gemeinde Ost-Berlins:
"In unserem Staate ist die Fackel des Antisemitismus ausgetreten."
Zitiert nach: Nieden, Susanne zur: Das Museum des Widerstandskamfes und der Leiden des jüdischen Volkes, in: Morsch, Günter (Hrsg.): Von der Erinnerung zum Monument. Die Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen (=Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 8), Berlin 1996, S. 272-278, hier S. 277.
Verschwiegen wurde, dass es auch in der DDR zu Hakenkreuzschmiereeien kam, allein 1960 wurden dem Innenministerium der DDR 595 solcher Vorgänge gemeldet.(3)
Im September 1992 wurde auf die Baracken 38 und 39 im kleinen Lager ein Brandanschlag verübt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich nur noch teilweise die alte Ausstellung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte in der Baracke. Der Anschlag fand kurz nach dem Besuch des israelischen Premierministers Yitzak Rabin statt, weswegen die Gedenkstätte und die Baracken in den Medien entsprechend präsent waren.
Eine Hälfte der Baracke 38 wurde vollkommen zerstört, die Fassade der Baracke 39 daneben stark in Mitleidenschaft gezogen ebenso wie die zweite Hälfte der Baracke 38. Beim Wiederaufbau legte man Wert darauf, die Spuren des Anschlags zu konservieren. Die Täter wollten ausdrücklich die jüdische Ausstellung treffen. Dies wird daran deutlich, dass gezielt der Barackenteil mit der Ausstellung zerstört wurde. Die andere Hälfte war eingerichtet mit dem KZ-Mobiliar (Tagesraum mit Tischen und Bänken und Schlafsaal). Wäre es den Tätern "nur" darum gegangen, die Gedenkstätte zu treffen, wäre ein Anschlag auf die Baracke 39 ungefährlicher, da sie sich näher an der Lagermauer befunden hatte.
Die Strafverfolgung und Tataufklärung war von vielen Versäumnissen geprägt.(4) Die Polizei zog erst nach drei Tagen einen Brandsachverständigen hinzu, einen Tag zuvor hoffte man seitens der Polizei, dass es sich um keinen Anschlag handeln würde, es keine aktiven Rechtsradikale in Oranienburg geben würde. Kurz nachdem man die Ermittlungskommission von 30 auf zwei Mitarbeitende reduziert hatte, konnte man durch Zufall zwei Tatverdächtige fassen, die sich vor einem Polizeibeamten mit der Tat gebrüstet hatten. Vor der Polizei gestanden die beiden noch mutmaßlichen Straftäter (einer war noch jugendlich, der andere 22 Jahre alt) zusammen mit in etwa 20 weiteren Skinheads vom Bahnhof zur Gedenkstätte gezogen zu sein, u, dann Molotowcocktails auf die Baracke zu werfen. Die Staatsanwalt hielt die Geständnisse für glaubwürdig, trotzdem wurden keine weiteren Tatbeteiligten ermittelt. Die Geständnisse wurden widerrufe, der ermittelnde Staatsanwalt trat indes seinen Jahresurlaub an. Als Resultat wurden die beiden wegen Mangels an Beweisen frei gesprochen,
Der BGH hob die Urteile wieder auf mit der, da der Potsdamer Richter die Geständnisse nicht ausreichend beachtet hatte. So begann drei Jahre nach dem Anschlag der zweite Prozess, schließlich wurden die Täter zu 2,5 und drei Jahren Haft verurteilt.
Fast 10 Jahre später (Anfang September 2002) wurde auf das Museum des Todesmarsches im Belower Wald ein erneuter Brandanschlag verübt. Dieser reihte sich ein in eine Kette von Anschlägen entlang der Route des Todesmarsches. Die Ausübung der Taten und andere Indizien legten nah, dass es sich bei den Tätern um erfahrenere Rechtsextremisten handeln musste. Die Täter wurden nie gefasst.
(1) Vgl. Rostock, Jürgen: Kurzbeschreibung der auf dem Gelände der künftigen Gedenkstätte Sachsenhausen noch vorhandenen Gebäude und Reste des ehemaligen Konzentrationslagers sowie der Bauten der DDR in den Jahren 1958 bis 1961, in: Morsch, Günter (Hrsg.): Von der Erinnerung zum Monument. Die Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen (=Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 8), Berlin 1996, S. 244-246, hier S. 245.
(2) Vgl. Paucker, Arnold: Deutsche Juden im Widerstand 1933 – 1945. Tatsachen und Probleme (Gedenkstätte Deutscher Widerstand Beiträge zum Widerstand 1933 – 1945), 2. Auflage, Berlin 2003, S. 30.
(3) Vgl. Timm, Angelika: Hammer, Zirkel, Davidsstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zu Zionismus und Staat Israel, Bonn 1997, S. 165.
(4) Vgl. hierzu und den folgenden Angaben: Morsch, Günter: Der Brandanschlag auf die "Jüdischen Baracken" im September 1992 und das Museum des Todesmarsches 2002. Taten, Täter, Folgen, in: Kopke, Christoph (Hrsg.): Angriffe auf die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen. Rechtsextremismus in Brandenburg und die Gedenkstätte Sachsenhausen (=Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 11), Berlin 2014, S. 17-39.