zur vorigen Station 
 zur nächsten Station
 Themenschwerpunkt Nationalsozialismus 
Sitemap Impressum/Datenschutzhinweis
Wege ins KZ Sachsenhausen

 

Themen auf dieser Seite:

Grundsätzlich kamen die Häftlinge auf drei verschiedenen Wegen ins KZ Sachsenhausen:

Auch wenn manche Häftlingserinnerungen, sofern ein Transport mit dem Zug erfolgte, durchaus den Anschein erwecken, dass diese Transporte den Deportationen in Vernichtungslager oder Ghettos ähneln, sind die nach Sachsenhausen keineswegs gleich zu setzen. Teilweise wurden Personenwaggons mit Sitzen verwendet, teilweise waren die Waggons an reguläre Personenzüge angehangen worden. Dennoch gab es Transporte, die sehr viel brutaler abliefen und Häftlinge schon auf dem Weg ins KZ Gewalttätigkeiten ausgesetzt waren. Ein Beispiel hierfür ist der jüdische Häftling Leon Szalet.

Zur Person Leon Szalet:

Leon Szalet war ein in Deutschland lebender Jude mit polnischer Staatsangehörigkeit. Er hatte schon vor dem Überfall auf Polen am ersten September 1939 sich um eine Ausreise bemüht, was ihm das Leben rettete und zu seiner Entlassung aus dem KZ Sachsenhausen verhalf. Im August flog Szalet mit seiner Tochter nach London, um dort einzureisen, geschäftlich war er bereits mehrmals dort und hoffte, in England aufgrund seiner vielen Visastempel im Reisepass einreisen zu können. Auf "Gut Glück" versuchte er es ohne Visum, in der Hoffnung, dass England als Verbündeter Polens ihn einreisen lassen würde. Am 27. August flog er nach London, allerdings ohne Erfolg, er wurde nach Berlin zurück geschickt. Er wurde gleich nach seiner Ankunft inhaftiert, nach drei Tagen von einem Schnellgericht wegen "unbefugten Überschreitens der Staatsgrenze" verurteilt. Das Urteil fiel mit einer Geldstrafe mild aus, er wurde frei gelassen.(1)

Nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 wurde er zu einem feindlichen Ausländer, seine Verhaftung erfolgte am 13. September um 5.30 Uhr. Auf dem Polizeirevier wurde angedeutet, dass seine Verhaftung mit polnischen Gräueltaten in Zusammenhang stehen würde, er wurde in ein Lastauto gebracht, auf dem sich bereits 15 weitere Polen befunden hatten. Der Wagen sammelte von anderen Polizeistationen weitere Häftlinge ein, er wurde zunächst in die Polizeikaserne Blücherstraße gebracht. Insgesamt befanden sich lt. seinen Angaben dort ungefähr 150 Polen. Diese wurden dann per LKW zum Stettiner Bahnhof gefahren, bereits dort erwartete ihn eine aufgebrachte und grölende Menschenmenge, die u. a. "Rache, Blut!" riefen.(2) Die Menschenmenge, besser Mob, forderte Rache für die deutschen Opfer des sg. "Bromberger Blutsonntags".

Der Gang der Ereignisse ist bis heute noch unbekannt, über die Zahl der tatsächlichen Opfer wurde erst in der Nachkriegszeit geforscht. Sicher ist allerdings, dass die nationalsozialistische Propaganda die Ereignisse maßlos übertrieben hatte, was auch für die Zahl der Opfer gilt.(3)

Insgesamt lebten in Polen vor dem 2. Weltkrieg ca. 700.000 Volksdeutsche als Folge des 1. Weltkriegs. Diese wurden teilweise, gerade auch als Folge deutscher NS-Propaganda, zumindest argwöhnisch betrachtet, wenn nicht eben sogar offen angefeindet.

Die deutsche Wehrmacht rückte schnell vor, in Bromberg bildete sich zur Verteidigung eine Bürgerwehr. Am 2. September wurde der Bahnhof von Deutschen bombardiert, zurück strömende polnische Soldaten füllten die Straßen. Unter der Zivilbevölkerung kursierten diverse Gerüchte. Auf der Danziger Straße waren Schüsse zu hören (zumindest gab es Geräusche, die danach klangen), so dass auf der Straße eine Panik ausbrach, Pferde gingen durch, ein Wasserhydrant wurde durch einen Aufprall mit einem Fahrzeug zerstört, eine meterhohe Fontäne stieß in die Luft. Polnische Soldaten gaben Warnschüsse ab und versuchten so, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Es kursierte das Gerücht, dass deutsche Saboteure von Kirchtürmen auf Polen schießen würden. Dies war der Auslöser für Polen, Jagd auf Deutsche zu machen. Viele wurden verschleppt, misshandelt und ermordet.

Die NS-Propaganda schlachtete das Ereignis aus, es gab sogar Pressefahrten, den Pressevertretern wurden die Leichen des Bromberger Blutsonntags gezeigt. Ob es sich dabei tatsächlich um Opfer der Polen handelte, kann nicht geprüft werden, da die einmarschierende Wehrmacht auch Zivilisten erschossen hatte. Die Propaganda sprach im Oktober 1939 zunächst von 5000 ermordeten Volksdeutschen, im Februar 1940 veröffentlichte das Auswärtige Amt die Zahl von 58.000 Opfern.

Tatsächlich zeigen neue Forschungen, dass die tatsächliche Zahl deutlich geringer ist, es sind ungefähr etwas über 400 Volksdeutsche umgebracht worden.

Für den hier betrachteten Zusammenhang ist es aber wichtig, die Wirkung der NS-Propaganda mit ihrer maßlosen Übertreibung zu erwähnen, um die aufgebachte Menschenmenge erklären zu können, zumal die antipolnische Propaganda der Vorkriegszeit ebenfalls seine Wirkung entfaltete. "Wenngleich das Vorgehen der polnischen Behörden gegen die eigenen Deutschen in der Tat problematisch war und sich die Hysterie angesichts des sich abzeichnenden Krieges immer weiter steigerte, war die Realität keineswegs so dramatisch, wie sie in den deutschen Medien dargestellt wurde. Letztlich diente die Übertreibung der politischen und moralischen Rechtfertigung eines Angriffkriegs, den man als Selbstverteidigung stilisierte ("Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen.")(4)

 

Leon Szalet berichtet über den Weg vom Stettiner Bahnhof zu seiner Einlieferung in das KZ Sachsenhausen wie folgt:

"In der Bahnhofshalle stand ein Sonderzug bereit. Einige hundert Gefangene saßen bereits in den Waggons. Aber der Zug wartete auf weitere Ladung. Schließlich waren die Transporte aus ganz Berlin, einer nach dem anderen, verstaut. Etwa 800 Menschen waren eng zusammengepfercht wie Schlachtvieh - und Schlachthausfurcht ergriff uns.

Vom Stettiner Bahnhof an waren wir der Gestapo ausgeliefert. Der erbarmungslose Griff dieser Geißel der Menschheit wurde sofort spürbar. Uniformierte Gestapobeamte gingen von Wagen zu Wagen und gaben genaue Verhaltensmaßregeln aus: Aus dem Fenster zu sehen war verboten, zu sprechen verboten, sich vom Platz zu rühren war verboten. Dann schritt eine Gruppe SS-Männer den Zug ab, und in jedem Wagen, den sie verließ, blieb eine körperlich und seelisch geschlagene Menschenmenge zurück."(5)

An diesen Ausführungen wird deutlich, dass hier keine Güterwaggons eingesetzt worden sind, dennoch waren natürlich die Waggons überfüllt. In Oranienburg wurden die Häftlinge auf den Bahnsteig getrieben, unklar ist, ob dieser Zug auf dem regulären Bahnsteig hielt oder am alten Güterbahnhof, der sich in unmittelbarer Nähe gegenüber des Personenbahnhofs befunden hatte. Die Erwähnung einer Treppe deutet darauf hin, dass der Zug auf dem regulären Bahnsteig hielt. Szalet schildert die Ankunft wie folgt:

"'Zahl stimmt', meldete ein Scharführer, als wir am Bahnhof aus dem Zug getrieben, in Vierrerreihen formiert und abgezählt worden waren. Dann wurden wir von drei Seiten von einer Doppelreihe SS umstellt, und der Abmarsch begann. [...] Vom Bahnsteig gelangte man über eine kleine Plattform und eine Treppe auf die Straße hinaus. [...] Eine lüsterne Menschenmenge beiderlei Geschlechts stand am Fuße der Treppe, sogar Mütter mit ihren Kindern auf dem Arm waren erschienen. Die Szene vom Stettiner Bahnhof wiederholte sich. Alte und junge, Männer- und Frauenstimmen verbanden sich zu einem grauenhaften und blutrünstigen Chor: 'Tötet die Bromberger Mörder! Tötet die polnischen Heckenschützen! Rache für die Brüder in Polen! Blut für Blut!'
Aber es blieb nicht nur beim Schreien und Johlen. Steine, Holzstücke, Nägel und Straßenkot wurden nach uns geworfen. Sie trafen uns ins Gesicht, in die Augen. Manche wurden geblendet und fielen, aber wir durften ihnen nicht helfen, durften uns nicht umsehen, nur vorwärts laufen. Vorwärts.
Der Weg ins Konzentrationslager war etwa zwei Meilen lang, wir ließen eine ebenso lange Spur von Toten und Verletzten zurück. Wer gefallen war, blieb liegen, bis ihm die Stiefel eines SS-Mannes wieder auf die Beine halfen oder er ein toter Mann war. Hinter uns fuhren einige Lastautos in langsamen Tempo. Sie lasen die Opfer auf.
Unser Weg führte an einer im Aufbau befindlichen Siedlung und diversen prächtigen Verwaltungsgebäuden vorbei. Dort wohnte ein Teil des dem Lager zugeteilten SS-Stabes mit seinen Familien.[...] Überall arbeiteten Gefangene. Plötzlich standen wir einer vier Meter hohen Mauer gegenüber. Der erste Teil der Orgie war vorbei, aber der zweite Akt begann sogleich. Am Tor des Lagers übernahm uns eine Abordnung von SS-Männern, deren Kräfte noch unverbraucht waren."

Ebd., S. 30.

Leon Szalet hatte Glück und wurde aus dem Lager entlassen im Mai 1940, da seine Tochter die Emigration trotz des missglückten Versuchs nach England auszureisen diese weiter vorantrieb, auch wenn generell die Ausreisemöglichkeiten nach Kriegsbeginn noch mehr eingeschränkt waren, weil es kaum aufnahmewillige Länder gab. Eine der letzten Zufluchtsorte war Shanghai, dorthin emigrierten beide und siedelten dann in die USA über.

Solche Öffentlichkeit war aber selten, die SS versuchte, den Kontakt mit Häftlingen zu minimieren. Ab 1940 wurden Transporte zum Bahnhof Sachsenhausen umgeleitet. (6). Der norwegische Häftling Odd Nannsen schildert seinen Weg, Tagebucheintrag vom 6. Oktober 1943:

"Wir lagen in einem Viehwagen, steif und müde nach einer Nacht und einem Tag ohne Schlaf und Ruhe, als der Zug plötzlich mit einem Ruck auf einem Bahnhof hielt. Auf einem Schild stand: ORANIENBURG. Wir machten uns 'fertig' und warteten. Wir nahmen an, daß wir hier heraus sollten. Aber nein. Der Zug schob uns hin und her[...]. Aber plötzlich ging der Zug weiter. er hielt erst, als wir an einem neuen Bahnhof ankamen, wo wir den Namen SACHHSENHAUSEN lasen.. [...] Und hier wurden wie herauskommandiert. Bald vernahmen wir den altbekannten Laut: 'Los, Mensch, los, los, los!
Wir wurden auf dem Bahnsteig in drei Reihen aufgestellt und zur Abwechslung mal wieder gezählt. Es war ein ländlicher Bahnhof mit einem Bahnhofsvorsteher, dessen ganze Familie in der Tür des Bahnhofsgebäudes stand und die Gefangenen aus Norwegen neugierig betrachtete. Und oben im zweiten Stock unter dem Dach saß noch ein zweites Ehepaar und beobachtete uns. Er war in Hemdärmeln und hatte eine Pfeife im Mund, und sie beglotzte sehr intensiv die merkwürdigen Gestalten unter uns. [...]
Auf dem Bahnhof und draußen am Weg entlang, der die Eisenbahnschienen kreuzte, wimmelte es von Jungen im Alter von vier bis fünf Jahren. Sie hatte alle Maschinenpistolen aus Holz, die so aussahen wie diejenigen, die die SS-Wachen hatten. Und mit diesen zielten sie auf uns und schossen, denn wir waren ja Feinde. Das wußten sie."

Nannsen, Odd: Von Tag zu Tag. Ein Tagebuch, Hamburg 1949, S. 42f.

 

 

Placeholder image

Hier ist der Bahnhof Sachsenhausen zu sehen, das Bild entstand Mitte der 30er Jahre.

Bei diesem Transport wurden Güterwagen eingesetzt, was aber nicht immer der Fall war. Aber auch am abgelegenerem Vorstadtbahnhof Sachsenhausen konnten die Transporte nicht vor der Zivilbevölkerung verborgen werden. Die sowjetischen Häftlinge kamen übrigens auch am Bahnhof Sachsenhausen an.(7)

Die Oranienburger Bevölkerung empfing auch SS-Truppen am Bahnhof. Das II. und III.  Bataillon der SS-Totenkopfstandarte beteiligte sich an der Zerschlagung des Sudetenlandes und kehrte Ende Oktober 1938 nach Oranienburg zurück. Die Truppen marschierten unter Beifallsbekundungen der Bevölkerung vom Bahnhof durch die Stadt ins Truppenlager. Dort wurden sie vom Bürgermeister Oskar Fuchs mit einer Rede begrüßt:

"Schöne Tage liegen hinter euch, jetzt freut ihr euch, dass ihr wieder daheim seid.  Wir freuen uns mit euch und rufen euch nocheinmal ein herzliches Willkommen zu. Ihr geht jetzt wieder an eure Friedensarbeit, die allzeit unter der Parole stehen möge: Führer befiehl, wir folgen."

Zitiert nach Bonnesoeur, Frederic: Im guten Einvernehmen. Die Stadt Oranienburg und die Konzentrationslager Oranienburg und Sachsenhausen 1933-1945, S. 121.

Übrigens kam es auch immer mal wieder zu Konflikten zwischen der SS und dem Bahnpersonal. SS-Angehörige fuhren mit abgelaufenen Fahrkarten, pöbelten und widersetzten sich dem Bahnpersonal. Himmer sah nich genötigt, das Verhalten der SS auf der Strecke Oranienburg-Berlin scharf zu rügen. SS-Männer sollten in Kenntnis gesetzt werden von ihren Vorgesetzten, dass

"der SS-Mann sich - wie überall im Leben - auch im Eisenbahnzug durch Höflichkeit, Hilfsbereitschaft gegenüber Frauen und älteren Menschen, Exaktheit im Anzug und äußere Bescheidenheit auszuzeichnen [hat]."

Ebd., S. 120f. 

 

(1) Vgl. Szalet, Leon: Baracke 38. 237 Tage in den "Judenblocks" des KZ Sachsenhausens, Berlin 2006, S. 14ff.
(2) Vgl. ebd., S. 28f.
(3) Vgl. hierfür und die Ausführungen zum Bromberger Blutsonntag Krzoska, Martin: Der "Bromberger Blutsonntag" 1939, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 60. Jhg (2012), Heft 2, S. 237-248 .
(4) Ebd., S. 241.
(5) Szalet, Leon: a. a. O., S. 29.
(6) Bonnesoeur, Frederic: Im guten Einvernehmen. Die Stadt Oranienburg und die Konzentrationslager Oranienburg und Sachsenhausen 1933-1945 (=Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 22), Berlin 2018, S. 126f.
(7) Ebd., S. 65.