Bei diesen Interviews handelt es sich Gespräche, die ich im Rahmen eines Projektkurses zum Thema "Fremdenfeindlichkeit in Berlin und Brandenburg" der FU Berlin durchführte. Sie bildeten die Grundlage, mich in meiner Diplomarbeit weiter mit DDR-spezifischen Ursachen dieser Einstellungsmuster zu beschäftigen. Betitelt war die Seminararbeit, wie auch hier, mit "... wenn man vollkommenen Kommunismus hätte", da dies Zitat im Zusammenhang auf beide Zeitebenen verweist: sowohl auf die Vergangenheit als auch auf die Gegenwart.
Um die hier aufgestellten Thesen zu überprüfen, sind Intensivinterviews vorteilhaft. Durch sie können komplexe Einstellungsmuster, Erfahrungen der Befragten und ihr Lebenskontext zusammenhängend dargestellt werden. Gerade weil die Lebenserfahrungen und die Begründungszusammenhänge für Ausländerfeindlichkeit sehr vielfältig sein können, ist es nur schwer möglich, hier quantitativ zu arbeiten. Die Sekundäranalysen hier haben bereits gezeigt, daß hierdurch u. U. wichtige Aspekte vernachlässigt werden. Bei dieser Interviewmethode besteht die Möglichkeit eher, in der Theorie vernachlässigte Aspekte aufzugreifen und die Interviewten stärker zu hinterfragen. Der Nachteil ist, daß die Fallzahlen gering sind, die Ergebnisse somit nicht repräsentativ sind.
Gewählt wurde ein Einstieg von "oben", d. h. es wurde zunächst das Einverständnis der amtierenden Jugendstadträtin Fr. Dr. Barth eingeholt. Dieses hat sich im Nachhinein als nützlich erwiesen, da von den Sozialarbeitern gefragt wurde, ob eine Genehmigung für das Forschungsvorhaben vorliegt. Noch ein Zweites war ausschlaggebend für diese Herangehensweise: Da es notwendig war, ausländerfeindlich orientierte Jugendliche zu befragen, dieses aber niemandem angesehen werden kann, mußte die Klientel erst gefunden werden. Die Interviews waren so aufgebaut, daß erst der allgemeinere Lebenskontext erfragt wurde, bevor es in medias res ging. Eine unnötige Ressourcenverschwendung wäre es gewesen, wenn sich herausgestellt hätte, daß es sich bei den Befragten um keine ausländerfeindlich orientierten Jugendliche gehandelt hätte. Fr. Dr. Barth nannte im Gespräch die hierfür in Frage kommenden Jugendclubs.
Der Bezirk Marzahn wurde gewählt, weil er erstens durch die Presse auf Grund von Gewalttaten bekannt war und weil es sich bei diesen Bezirk um einen mit geringem Durchschnittsalter handelt.
Eine Presseauswertung erfolgt hier aber nicht, nur soviel: 3Sat sendete eine Dokumentation unter dem Titel "Von Gewalt halte ich nicht viel, aber mit Gewalt erreichst du 'ne Menge...", Datum leider unbekannt. Auf diesen Bezirk wird auch auf Grund der Plattenbauweise immer wieder verwiesen, zuletzt in der Wochenzeitung Das Parlament (Schwerpunktausgabe zum Thema Extremismus). "Trostlosigkeit im Alltag fördert Aggression: Plattenbausiedlung in Berlin-Marzahn" heißt es dort unter anderem (S. 11) in: Schubarth, Wilfried: Auch im 'Hort des Antifaschismus' gab es 'Nazis', abgedruckt in: Das Parlament Nr. 15/1994 vom 15. 4. 1994, S. 11.
Die Interviews sollten einerseits Aufschluß bringen über den Lebenskontext der Befragten vier Jahre nach dem Fall der Mauer und natürlich klären, inwieweit noch heute ein DDR-Erbe zur Ausländerfeindlichkeit beiträgt.
Der Jugendclub wurde, um erst einmal ein Bild zu bekommen, mehrmals besucht, bevor mit den Interviews begonnen wurde. Dies geschah natürlich nicht, ohne das eigentliche Anliegen von vornherein den Sozialarbeitern zu unterbreiten, als unbekannte Gäste, wahrscheinlich recht schnell als "Wessis" identifiziert, wurden wir sofort angesprochen. Gleich beim ersten Besuch fand ein kurzes Vorgespräch statt. Dies weckte auch die Neugierde der Jugendlichen, so daß sich unsere Absicht schnell herumgesprochen hat.
Bevor die Jugendlichen interviewt wurden, wurden die Sozialarbeiter befragt, um auf diese Weise Informationen über den Club und über die Jugendlichen selbst zu erhalten. Die Informationen gingen dann teilweise noch in die Interviews mit den Jugendlichen ein, die Fragen wurden an einigen Stellen modifiziert und erweitert.
Während das Gespräch mit den Sozialarbeitern problemlos und offen verlief, das Vorhaben an sich auch auf offene Ohren stieß, verhielt sich dies bei den Jugendlichen anders.
Von den männlichen Besuchern des Clubs war niemand bereit - trotz einiger Gespräche mit uns - sich interviewen zu lassen, sofern das Gespräch auf Tonband aufgezeichnet würde. Lediglich die interviewten Mädchen waren hierzu bereit, so daß auch nur dieses Interview letztlich ausgewertet werden konnte.
Grund für die Ablehnung war die bereits erwähnte 3Sat-Dokumentation. Diese hat nach Ansicht der Jugendlichen die Realität verzerrt. "Wir wurden als kriminelle Schwerverbrecher hingestellt - das sind wir nicht" sagte einer der männlichen Jugendlichen. Damit allerdings hat er recht. Bedauerlicherweise ließen sie sich trotz weiterer Gespräche mit uns nicht umstimmen. Daß dieser Jugendclub ausgerechnet derjenige war, wo diese Dokumentation gedreht wurde, erfuhren wir erst, als wir uns schon "eingelebt" hatten, wir bereits von den Jugendlichen bei unseren Besuchen begrüßt und ein wenig akzeptiert wurden. Dieses ist nicht selbstverständlich, denn wir waren nicht nur Studenten, sondern auch noch "Wessis", zwei Hürden, die nicht ohne weiteres überwunden werden können.
Da bis dahin schon relativ viel Zeit verstrichen ist, stand der Entschluß fest, dennoch an diesem Club festzuhalten in der (im Nachhinein trügerischen) Hoffnung, trotz allem genügend Gesprächspartner zu finden. Die dort arbeitenden Sozialarbeiter zeichneten sich durch eine hohe Kompetenz aus (unter ihnen war eine ehemalige Lehrerin und ein ehemaliger Kriminalbeamter), so daß es möglich war, Informationen aus erster Hand über die frühere DDR zu erhalten, für diese Thematik ein nicht unwesentlicher Aspekt.
Das zweite Problem war, daß die interviewten Mädchen nicht bereit waren, sich allein interviewen zu lassen. Somit wurde daraus ein "Gruppeninterview". Die Interviews wurden selbstverständlich anonymisiert. Das gleiche gilt für den Namen des Clubs (er heißt hier "Marzahner"), um alle Identifizierungen zu vermeiden.
Leitende Fragen bei der Auswertung sind:
Allerdings können nicht alle Thesen hier überprüft werden, insbesondere die zu den Auswirkungen unberabeiteter NS-Relikte für die dritte Generation. Bei dieser Thematik muß viel Sorgfalt walten, was in diesem Rahmen nicht geschehen kann, die äußeren Rahmenbedingungen eigneten sich hierfür nicht. Wegen der geringen Fallzahlen und der Nicht-Repräsentativität der Aussagen können keine der bisherigen theoretischen Annahmen widerlegt werden, sofern sich hier andere Ursachenzusammenhänge nachweisen lassen.
Sinn der Forschung ist es, die subjektiven Einschätzungen der Befragten in Erfahrung zu bringen, in der Annahme, daß sich diese zumindest ein wenig decken mit den bisherigen Ausführungen. Einige Fakten wurden in den Interviews "nur" noch erneut bestätigt, z. B. die Faschismus-Definition Dimitroffs. Eine detaillierte Auswertung und Interpretation von solchen "Binsenweisheiten" erübrigt sich hier, dies ist in den theoretischen Ausführungen bereits geschehen.
Die Auswertung erfolgt in zweifacher Weise: Problemorientiert und Personenbezogen. Das heißt, daß die Interviews ausgewertet werden auf dem Hintergrund für die Thematik wichtiger Problemfelder, also z. B. Militarismus, wirtschaftliche Unsicherheit usw. Gleichzeitig werden die Personen charakterisiert und das Gesagte zusammenhängend dargestellt. Da die Bereitschaft, sich interviewen zu lassen sehr gering war und im Gruppengespräch zwei (Doris und Susi) eindeutig dominierten, werden auch nur diese beiden im wesentlichen herausgegriffen und ihre Äußerungen auf die Thematik hin untersucht.
Zusammenhänge drücken sich bei qualitativen Intensivinterviews durch Sätze und Aussagen aus, die zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dies ist erfordert mehr Raum als bei quantitativen Methoden, wo Korrelationskoeffizienten Beziehungen und Zusammenhänge ausdrücken. Deswegen ist es nicht sinnvoll, die Interviews bei der Auswertung derart zu zergliedern, daß Zusammenhänge nicht mehr sichtbar werden. Das hat zur Folge, daß bestimmte Aspekte in verschiedenen Problemfeldern auftauchen, weil einige Aussagen verschiedene Sachverhalte belegen können, z. B. der utilitaristische Aspekt (d. h., daß Ausländer nützlich sein müssen). Man kommt also nicht umhin, die gesamte Auswertung zu lesen, wenn man sich ein vollständiges Bild von den Interviewten und der Situation machen möchte, auch wenn einige Aspekte wiederholt auftauchen.
Zu den interviewten Sozialarbeitern zählen Olaf, Michael, Matthias und Claudia, die interviewten Mädchen heißen Doris (19 Jahre alt), Susi (16), Katja (16) und Birgit (16).
Alle Interviewten sprachen sehr stark Berliner Dialekt. In der Abschrift wurden alle Aussagen in das Hochdeutsche übertragen, was die Lesbarkeit bedeutend erhöht. Lediglich Kurzformen (z. B. kannst du = kanns'te) wurden beibehalten. Die grammatikalische Struktur wurde nur dort verbessert, wo es für das Verständnis nötig war.