Der Club - eine kurze Beschreibung
Der besuchte Club liegt in Berlin-Marzahn in den Räumen eines ehemaligen "Dienstleistungswürfels". Dies sind kleinere Gebäude inmitten der eintönigen Plattenbausiedlungen, wie sie in der DDR am Stadtrand von größeren Städten typisch waren. In den "Würfeln" waren die wichtigsten Dienstleistungen untergebracht, z. B. Post, Friseur und häufig auch ein Jugendclub. Die Sozialarbeiter hatten teilweise schon länger mit diesen Jugendlichen zu tun: Olaf war vor der Vereinigung Kriminalbeamter und hatte somit schon mit den Jugendlichen zu tun gehabt (S. 11/Z. 30-36):
Ja, im Marzahner habe ich dann viele wiedergetroffen, gegen die ich 'mal ermittelt habe. (S. 17/Z. 7f)
Matthias kennt die Jugendlichen ebenfalls schon länger und ist stellvertretender Leiter des Clubs (S.1/Z. 41):
ich kenn die alle, [...], erstens kenne ich die, weil ich hier früher zur Schule gegangen bin (S. 21/Z. 21f).
Claudia war als Lehrerin beschäftigt (S. 15/Z. 35-36), allerdings nicht in Berlin, sondern in Halle, ebenso war am Interview noch Michael beteiligt. Über diese hinaus gibt es noch ca. vier weitere Honorarkräfte, die aber nicht alle ständig anwesend sind. Die Sozialarbeiter sind allesamt noch sehr jung (von Olaf abgesehen), die eigentlich von der Altersstufe noch zur untersuchten Klientel als Jugendliche gehören.
Der Club hat als einziger in Marzahn sieben Tage in der Woche auf (S. 1/Z.44).
Der Club wird von etwa 12-25jährigen besucht (S. 1/Z. 5-7), angeboten werden verschiedene Gruppen und Aktivitäten, die aber nicht verpflichtend sind. Die Jugendlichen können sich zum Quatschen treffen, Videos anschauen und etwas trinken (Bier und Antialkoholisches). "Härtere" Alkoholika sind eigentlich verboten, werden aber von den älteren Jugendlichen mitgebracht. Häufig waren gestohlene Weinbrandflaschen unter den Tischen zu beobachten, die Sozialarbeiter gingen dagegen aber nicht an. Freitag und Samstag findet noch eine Disco statt.
Gründe für Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus
Was ist ein Erbe der DDR?
Das Geschichtsbild und seine Implikationen
Erneut bestätigt wird die Dimitroffsche Definition des Faschismus.
Also, damals wurde Dimitroff immer aufgebauscht, das ist bekannt. (Claudia: S. 14/Z. 26)
Wie tief verankert dieses noch ist, zeigt Michael:
Nach wie vor kannst du Dimitroff und seiner Definition und Theorie zum Faschismus auch in den westlichen Ländern zustimmen, das ist keine tote Theorie, und ich sehe das auch so, daß die nach wie vor gar nicht so falsch ist. (Michael: S. 14/ Z. 28-31)
Sein expliziter Verweis auf die westlichen Länder ist eigentlich überflüssig, denn für eben diese soll die Dimitroffsche Definition zutreffen.
Gleichzeitig gehen die historischen Kenntnisse ein wenig durcheinander. Auf die Frage, ob sich ähnliches wiederholen könnte, antwortet er:
Ich meine, wir sind nicht mehr im Bauernkrieg, oder so, hier sind ganz andere Verhältnisse. (Michael: S. 14/Z. 45f)
"Bauernkrieg" ist eine falsche historische Anleihe und erscheint doch ein wenig zu verharmlosend, der Fairneß wegen aber muß gesagt werden, daß Michael kein Lehrer ist. Die Geschichtskenntnisse sind also nicht sehr fundamental. Trotz der ständigen Betonung im Unterricht auf diese Aspekte ist kaum Wissen vermittelt worden.
Der hier aufgestellten These, daß eine vollständige Geschichtsschreibung einige Parallelen zur DDR aufdecken würde, somit wichtige Themen aus dem NS ausgespart wurden, stimmt auch Claudia zu:
Wir haben - jedenfalls ich, ich weiß nicht, was andere Leute gemacht haben - diskutiert über die Mechanismen, die Beeinflussung der Menschen, daß die alle mitgemacht haben, das wäre ja ein brisantes Thema gewesen, und Parallelen wollten wir nicht ziehen, das wurde also alles nicht behandelt. (Claudia: S. 15/Z. 22-26)
Schon hier wird deutlich, daß sie von den vorgegeben Lehrplan versuchte, abzuweichen, obwohl dies nicht ohne weiteres möglich war:
ich hatte sehr starke Vorgaben, und wenn ich mich da nicht dran gehalten habe, habe ich auch viel Ärger gekriegt. (Claudia: S. 15/Z. 36-38)
Ich habe dann selbständig Sachen verändert und habe versucht, das und das durchzusetzen. Ich habe dann zwar nicht direkt Ärger gekriegt, also Verweise oder so, aber ich wurde darauf hingewiesen, daß ich mich bei dem Thema daran zu halten hatte. (Claudia: S. 15/Z. 43-45)
Hier wird ein Grund deutlich, warum eben nicht alle Schüler die selben Erfahrungen machten. Manche Lehrer wichen eben von Vorgegebenem ab. Demzufolge sah Claudias Unterricht über die Judenverfolgung im NS anders aus (S. 16/Z. 13). Dies läßt sich aber eben nicht verallgemeinern, wie es schon bei Olaf ersichtlich ist:
Ich kenne es mehr oder weniger auch aus dem Geschichtsunterricht, da war's ziemlich kurz gebunden, anschließend im Studium auch. (Olaf: S. 16/Z. 39f)
Die Kenntnisse über den NS sind bei den interviewten Jugendlichen ebenso wenig ausgeprägt, die ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz und Sachsenhausen (Susi) sowie Theresienstadt und Treblinka (Doris) werden miteinander verwechselt:
Wo waren wir denn da? In Auschwitz? (Susi: S. 70/Z. 28)
Ohne das "Eingreifen" des Interviewers, d. h. das Einkreisen des Ortes (S. 71/Z. 3-9), wäre Susi wohl bei Auschwitz geblieben, sofern nicht der skeptische Blick des Interviewers Unsicherheit provoziert hätte.
Die Verwechslung Theresienstadts mit Treblinka von Doris mag vielleicht noch angehen, die Behauptung Susis, dort schon gewesen zu sein, läßt aber erneut zweifeln auf Grund ihrer Aussage:
Aber in Treblinka war ich schon. Und das hat mir auch gereicht, ey. (Susi: S.71/Z. 21)
Das ehemalige KZ existiert nicht mehr (von einigen wenigen Baracken-Fundamenten abgesehen), weil es, als die Sowjetarmee vorrückte, von der SS vollständig zerstört wurde (bzw. die Reste, die nach dem Häftlingsaufstand übriggeblieben sind). Statt dessen steht dort eine eindrucksvolle Denkmalsanlage, die aber kaum die Aussage "Und das hat mir auch gereicht, ey" rechtfertigen würde, denn selbst eine Dokumentation wie sonst üblich fehlt dort.
Relevant ist dieser Aspekt, wenn man berücksichtigt, daß rechtsradikale bzw. -extreme Parteien mit einem falschen und verharmlosendem Geschichtsbild argumentieren, das bei mangelndem Wissen auf einen besonders guten Nährboden fällt. Dies wird natürlich mit aktuellen Befindlichkeiten verknüpft, z. B. daß es im NS keine Arbeitslosigkeit gab u. ä. Über die Anfälligkeit hierfür sagt der Sozialarbeiter Michael etwas:
Auf alle Fälle stehen sie zum Nationalsozialismus (Michael: S. 17/Z. 23)
Natürlich handelt es sich bei Jugendlichen noch um keine ausgereiften Menschen, wie Olaf feststellt (S. 17/Z. 25), die Anfälligkeit ist aber auch für ihn ein Problem:
Die Jugendlichen wissen nicht, was mit ihnen irgendwann 'mal passiert, wann sie Arbeit kriegen. Und die interessiert zur Zeit überhaupt nicht, ob der Sozialismus gut gewesen ist, oder ob's im Faschismus gut war, sondern das Erste, was sie gehört haben, z. B. bei Hitler war alles gut, dann war alles gut. Auf der anderen Seite kommt einer 'rein und sagt, zu DDR-Zeiten war dies gut, dann sagen sie ja, auch das war gut. Das ist, wie der Wind gerade dreht. (Olaf: S. 17/Z. 29-35)
Fraglich aber ist, ob die Jugendlichen für "DDR-Demagogie" anfällig wären, also mit Parteien und Organisationen sympathisieren würden, die mit den Vorteilen der DDR argumentieren, da die Abneigung gegen die DDR auf Grund eigener Erfahrung hoch ist. Auf die Frage nach dem Bedürfnis der Flucht (Ungarn), antwortet Susi:
Das Bedürfnis hatte jeder. (Susi: S. 48/Z. 1)
Eine DDR-Nostalgie tritt nicht auf, wie Olaf feststellt (S. 27/Z. 43-46).
Mangelndes Wissen über den NS läßt sich auch verdeutlichen an der Unfähigkeit der Jugendlichen, Unterschiede zwischen dem NS-System und dem der DDR zu benennen. Auf die entsprechende Frage (S. 73/Z. 42f) war langes Schweigen die "Antwort". Um die Frage zu konkretisieren, wurde anschließend nach der Behandlung des "Führerkults" des NS im Unterricht gefragt (S. 73/Z. 47). Doris wußte nicht, um was es sich dabei handelt (S. 74/Z. 1), nach einer kurzen Erläuterung antwortete Susi:
Zu DDR-Zeiten nicht. Sobald die DDR weg war, kam das bei uns erst. (Susi: S. 74/Z. 6)
Dies hätte, wie Claudia zustimmte, Parallelen aufgedeckt (ohne aber beide Diktaturen gleichsetzen zu wollen), was die DDR aber vermeiden mußte.
Militarismus und Feindbilderziehung
Die Lehrerin Claudia hat hier am ehesten Einblick. Über den Wehrkundeunterricht sagt sie:
Ich hatte eher das Gefühl, daß die Jugendlichen das abgelehnt haben, daß die das nicht mochten, wenn da jemand in Uniform 'reinmarschierte und die vollaberte. Es war mit der strengste Unterricht. (Claudia: S. 22/Z. 26-28)
Ebenso fanden Wehrlager statt, in dem
die Jungs da in dem Lager knallhart 'rangenommen wurden. (Claudia: S. 22/Z. 37)
Dort fand dann u. a. die Feindbilderziehung statt:
Da gab's auch sehr unangenehme Sachen, da gab's ein Spiel "Der wahnsinnige Sohn des Bürgermeisters", der Sohn des Bürgermeisters war eine ganz negative Rolle, weil der wirklich Horror-Visionen eingeführt hat, was sich dann auch später fortsetzte. (Claudia: S. 22/Z. 37-41)
In den Lagern wurden auch Schußwaffen (Luftdruckgewehre) benutzt:
Was angenommen wurde, war zum Beispiel das Schießen. (Claudia: S. 22/Z. 41f)
Die Lager wurden von der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) veranstaltet. Dort konnten auch Führerscheine für Motorräder erworben werden (S. 23/Z- 2f), was ein nicht unerheblicher Faktor für die Attraktivität solcher Organisationen ausmacht. Die Kombination des Militarismus mit Freizeitangeboten für Jugendliche macht solche Lager attraktiv. Insofern ist es kein Wunder, daß der Wehrkunde-Unterricht auf Ablehnung stieß.
Das [die Lager, der Verf.] hat denen echt Spaß gemacht [...]. Total negativ war nur dieser Wehrkunde-Unterricht (Claudia: S. 23/Z. 9-11)
Denn:
Es war mit der strengste Unterricht. (Claudia: S. 22/Z. 28)
Abgelehnt wurde also nicht unbedingt der Inhalt, sondern die Methodik. Claudias Einschätzung, daß es sich bei den Lagern um keinen Militarismus handelt (S. 22/Z. 42f), muß also relativiert werden, denn auch das Schießen mit Luftdruckgewehren ist ein Element der Erziehung zum Waffengebrauch, denn es werden Hemmschwellen schon frühzeitig abgebaut, gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien werden nicht erlernt.
Das Feindbild wurde überall geschaffen. (Olaf: S.25/Z. 7)
erwiderte Olaf auf die Frage nach der alten Bundesrepublik als Feindbild. Dies hat sich tatsächlich noch lange gehalten, denn die Jugendlichen berichten von den Problemen, die bundesrepublikanische Artikel (Tüten und Turnschuhe) in der Schule bereiteten:
Kaum bist du mit ner Westtüte in die Schule gekommen, da wollten sie deine Tasche ausleeren... (Doris: S. 72/Z. 45f)
Oder bei der Kleidung: gehen sie nach Hause! Ziehen sie sich bitte um! (Susi: S. 73/Z. 1)
Ich hatte Puma-Turnschuhe - die durfte ich in der Schule nicht anziehen... (Doris: S. 73/Z. 3)
Das "Problem" wurde durch Verbote repressiv gelöst. Inwieweit die Jugendlichen aus Fetischgründen Westprodukte getragen haben (wie Maaz feststellte), kann mit diesen Äußerungen nicht überprüft werden.
Ausländerfeindlichkeit in der DDR
Die Binsenweisheit, daß es bereits in der DDR Ausländerfeindlichkeit gegeben hat, bestätigt Olaf:
Man kann aber auch nicht sagen, daß die Ausländerfeindlichkeit nach der Maueröffnung rasant gestiegen ist in der Ex-DDR. [...] Es gab ja generell Konfrontationen zwischen DDR-Jugendlichen und Ausländern. (Olaf: S. 7/Z. 31-36)
Eine der interviewten Jugendlichen (Doris) bestätigt dies:
Aber danach [nach der Wende, der Verf.] haben sie eigentlich nur das ausgefaltet, was sie vorher schon gemacht haben. Das hat mit dem Westen nichts zu tun. Die haben einfach laut das gemacht, was sie vorher nicht durften. Vorher genauso: Wenn du besoffen warst und hast dich erwischen lassen mit 'nem Hitler-Gruß, dann biste gleich abgegangen nach Bautzen. (Doris: S. 55/Z. 40-44)
Nach Olafs Einschätzung wollten sich die Jugendlichen stark fühlen, sie sind somit eher als Rechtsradikal bzw. rechtsradikal orientiert einzustufen:
In der Regel ging es oder geht es darum, daß sie sich irgendwo als Mann gefühlt haben, wenn sie irgendwo jemand zusammengeschlagen haben. (Olaf: S. 7/Z. 44-46)
Vernachlässigt werden dabei ausländerfeindliche Orientierungen bei Mädchen. Dies hat seinen Grund in der Verknüpfung der Ausländerfeindlichkeit mit Gewalt (Gewalt gegen Ausländer als männliche Domäne), aber auch in der Wahrnehmung des Konfliktpunktes. In den Auseinandersetzungen soll der Konfliktpunkt "Frau" eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben:
Das meiste war wirklich in der Unterhaltungsszene, ob das Discos oder Theater oder Konzerte oder so was waren, da gab's eben immer wieder Reibereien. Das waren Mentalitätsunterschiede, Temperamentsunterschiede und eben immer wieder das Thema Frau. (Michael: S. 9/Z. 13-16)
Konkret ist der Konfliktpunkt gemeint, daß sich Ausländer an Mädchen heranmachen:
Du mußt ja davon ausgehen, außer bei den Vietnamesen, daß die ganzen anderen Ausländergruppen, die hier in der DDR tätig waren, war es doch immer so, daß es immer nur Männer waren. Das ist Fakt. (Michael: S. 9/Z. 16-19)
Da bei zeigt sich, daß auch Michael nicht frei ist von Pauschalisierungen und Vorurteilen, auch wenn sie auf eigene Erfahrung beruhen:
Hat sich keiner Gedanken gemacht, wie ein Algerier, was ja nun Araber sind, also heißblütige Leute eigentlich, so habe ich die zumindest kennengelernt, wenn du da Leute hierher für ein paar Jahre schickst, und die können in drei Jahren nur einmal nach Hause fahren, oder maximal einmal im Jahr durften die nach Hause fahren, da kannst du dir vorstellen, wo das Durchschnittsalter zwischen 18 und 25 Jahren liegt, das die irgendwas vorhaben, ist doch normal. (Michael: S. 9/Z. 20-27)
Er fügt hinzu, daß diese Gastarbeiter eher der Mädchen als der Arbeit wegen in die DDR gekommen sind:
Ich meine, wenn sie nicht selbst mit der Absicht hierher gefahren sind, aber irgendwie brauchen die ja was. Und das war eigentlich immer das meiste. Das war der größte Grund, oder nicht? (Michael: S. 9/Z. 27-29)
Dies ist zu stark verallgemeinernd. Die eigentlichen Ursachen der Ausländerfeindlichkeit werden nicht wahrgenommen. Michael sagt, daß die ausländischen Jugendlichen zuerst allein losgezogen sind (S. 9/Z. 45f.), dann aber wegen den gewalttätigen Auseinandersetzungen später in Gruppen (S. 9/Z. 47 und S. 10/Z. 1f). Die Ursache dieser Gewalt gegenüber Ausländern ist hier aber nicht mehr das Thema "Frau", sonder allgemeinerer Natur:
na ja, in Discos läßt ja auch mal der normale Jugendliche seinen Frust raus, den er sich bei dieser oder jener Gelegenheit geholt haben kann, zu Hause oder in der Schule, das ist ja in jedem Land so und war auch bei uns so. (Michael: S. 9/Z. 47 und S. 10/Z. 1-3)
Obwohl Michael mit Arabern zu tun hatte (S. 10/Z. 16), verallgemeinert er sehr stark:
und die haben so eine Mentalität, wenn eine Frau 'mal mit einem Algerier getanzt hat, bißchen rumgeflirtet, das ist ja nichts Unnormales, dann war das wie eine Zusage. Und wenn es dann nicht geklappt hat, dann sind die verrückt geworden, haben auch ganz schnell das Messer gezogen, dafür waren sie bekannt. Die Messerstecher. Das ist eine Mentalitätsfrage, ist vielleicht in deren Land nichts Unnormales. (Michael: S. 10/Z. 17-23)
"Die" haben so eine Mentalität, "die Messerstecher", hier wird eine strikte Trennung in Freund/Feind vorgenommen, wie sie in den Neuen Ländern häufig anzutreffen ist.
Die Ursache der Gewalt, also daß Ausländer in Discos mit Mädchen flirten und somit konfliktverursachend sind, ist für Michael anscheinend eine menschliche Ursache, denn er differenziert zwischen Ausländerfeindlichkeit in der DDR und in der Gegenwart:
In der Gegenwart ist die Gewalt politisch motiviert, ohne Anlaß, weswegen sie unmenschlich ist:
Es war nicht so kraß wie jetzt. Jetzt kann es passieren zu irgendwelchen Jahrestagen, daß sich die rechten Jugendlichen vollsaufen, das ist passiert, ich war einmal dabei, habe mir das einmal angeguckt vor zwei Jahren. Die sind dann völlig ohne Grund, die haben sich zugesoffen und dann gesagt, die Schweine, die scheiß Ausländer. Dann sind sie zu einem Ausländerheim in der Riemstraße gezogen und sind da einmarschiert und wollten die alle verprügeln. Das ist auch eine völlig unmotivierte Sache, menschlich unmotiviert. Das ist also wirklich nur politisch motiviert. (Michael: S. 10/Z. 35-42)
Früher war die Ausländerfeindlichkeit für Michael dagegen "menschlich", weil es einen konkreten Grund gab:
Und das war früher nicht. Das war eine ganz private, ganz menschliche Ausländerfeindlichkeit. (Michael: S. 10/Z. 42-44)
Die Gründe aber kann Michael nicht eindeutig benennen, einerseits stellen männliche Ausländer Konkurrenz bezüglich Frauen dar, andererseits ist es der eine oder andere Frust, der ausgelebt wird (siehe oben).
Erwähnenswert ist noch der Sprachgebrauch der Sozialarbeiter Michael (Verallgemeinerungen) und Olafs, der das Wort "Fidschi" für Vietnamesen gebraucht:
Fidschis, eigentlich alle Schattierungen. (Olaf: S. 5/Z. 27)
Fidschis sind hier in Marzahn am meisten. (Olaf: S. 11/Z. 4)
Bei diesen Sprachgebrauch werden die Vorurteile der Jugendlichen indirekt bestätigt, die Etikettierung hält die Einstellungen aufrecht, weil die Jugendlichen die Bezeichnung selbst häufig verwenden im abwertenden Sinn. Wenn die Sozialarbeiter den Begriff unreflektiert übernehmen, könnten sich die Jugendlichen dadurch bestätigt fühlen. Die beiden Sozialarbeiter Olaf und Michael lassen die nötige Distanz vermissen.
Bestätigt wird von den Sozialarbeitern die soziale Distanz zu Ausländern und die instrumentalistischen Beziehungen zu Ausländern.
Mit Ausländern haben die eigentlich nix zu tun gehabt. (Matthias: S. 7/Z. 15)
Dies setzt sich fort bis in die Gegenwart:
Das einzige sind nur die Vietnamesen, bei denen sie Zigaretten kaufen, also auch nur optisch kennen (Claudia: S. 7/Z. 17f)
Hier wird der instrumentelle Charakter deutlich: Sofern Ausländer nützlich sind, hält man sich zwar auf Distanz, akzeptiert sie aber dennoch. Das distanzierte Verhältnis zu anderen Mitmenschen wirkt sich sogar auf die anderen Jugendlichen im Club aus.
Also die Kumpels - sagen wir 'mal so: Das ist so larifari. Das kommt immer darauf an, wen man so meint. Da sind auch so Leute dabei, die einen in die Pfanne hauen, die man nicht leiden kann, aber mit denen trinkt man öfter 'mal einen ich will ja nicht sagen, daß ich was trinke - oder mit denen man 'mal weggeht oder die man 'mal ein bißchen mit Kohle ausnimmt. (Doris: S. 33/Z. 21-25)
Natürlich gibt es Menschen, mit denen man weniger gut auskommt. Befremdlich aber ist, daß Doris dennoch mit diesen verkehrt (trinkt) und vor allem sie finanziell ausnimmt.
Die distanzierten Beziehungen zu Ausländern in der DDR drücken Doris und Susi aus:
Ja, genau. Aber die - weiß ich - z.B. die Vietnamesen, die wir damals hatten, da zu uns auf Arbeit, zu DDR-Zeiten noch: das ist was ganz anderes. (Doris: S: 61/Z. 22f)
Die haben wir gebraucht - geb' ich ehrlich zu. (Susi: S. 61/Z. 24)
Ausländer wurden in der ehemaligen DDR als billige Arbeitskräfte gebraucht, jetzt sind sie überflüssig, folglich sollen sie Deutschland verlassen.
Ein Sozialarbeiter (Michael) weiß nicht, ob im Bezirk Ausländer überhaupt wohnen, was ein Indiz für ein Neben- statt Miteinanderlebens ist. Auf die Frage, ob hier Ausländer wohnen, wird geantwortet:
Ja, doch, ich weiß jetzt gar nicht. (Michael: S. 5/Z. 25)
Die soziale Distanz wird darüber hinaus noch indirekt bestätigt durch die alltäglichen Diskriminierungen, die Ausländer zu verspüren hatten:
Was ich in der DDR stärker fand, sagen wir 'mal, wenn es Konflikte gab mit Ausländern, daß das sozusagen über Diskriminierung ging. So ganz offene Gewalt war eben doch was Besonderes, gab's zwar, aber diese tägliche Diskriminierung, da hat man's eher noch gemerkt.
Also das, was so Leute erzählt haben, z.B. daß sie irgendwo im Geschäft oder in der Stadt, wenn sie irgendwo 'reinwollten, wo 'ne Veranstaltung war, daß sie dann sozusagen abgespeist wurden. (Claudia: S. 8/Z. 1-7)
Die Möglichkeit, durch Kontakte Vorurteile abzubauen, ist gering, die Distanz ist zu groß:
Es zeigt sich, wenn Kontakte zwischen den Jugendlichen und Ausländern entstehen, die privat sind, also nicht so in einer Masse, daß da nicht die konfrontativen Sachen laufen, sondern einfach das Kennenlernen auf Konzerten oder so. Wo man sich halt trifft. Dann kommt auf einmal die Erkenntnis, die sind gar nicht so, also die Vorurteile, die hier in Marzahn teilweise sind und durch die Medien gefördert werden, die bestätigen sich in persönlichen Treffen nicht. Das ist Grundtenor, selbst bei Leuten, bei denen ich sage, die sind stark rechts eingestellt. Also bei persönlichen Kontakten läßt sich das gar nicht finden. Aber das wird irgendwann weggewischt, weil das nur sporadische Kontakte sind. (Michael: S.7/Z. 20-29)
Die gemachten positiven Erfahrungen reichen nicht aus, um die Kontakte aufrecht zu erhalten.
In der DDR beschränkten sich die Kontakte zu Ausländern bei den interviewten Jugendlichen auf Kontakte in Ferienlagern (Doris: S. 62/Z. 36-41).
Die soziale Herkunft der führenden Köpfe der Rechtsradikalen soll laut Olaf eine bessere sein (MfS-Familien):
Viele Jugendliche waren aus wohlbehüteten Familien, ob es nun MfS-Familien gewesen sind, nicht nur, ja, aber die Köpfe von denen, die eigentlich was zu sagen hatten, die waren aus den höhergestellten Familien. (Olaf: S. 12, Z. 25-28)
Dies deutet auf eine Protesthaltung der Jugendlichen hin, so daß sie als rechtsradikal orientiert einzustufen wären.
Das Entstehen einer Jugendsubkultur anfang der 80er Jahre bestätigt auch Olaf:
Ganz konkret fing es mit den sogenannten "schwarzen Witwen" an. Es war eine Modeerscheinung, daß Jungs und Mädchen absolut in schwarz gegangen sind, daraus haben sich dann die Grufties abgeleitet. (Olaf: S. 11/Z. 16-18)
Das war so 1981, '82 , die haben sich nicht so lange gehalten. Dann haben sich so langsam die Grufties, Punks entwickelt, und so Mitte der 80er Jahre sind die ersten Skins aufgetreten. (Olaf: S. 11/Z. 16-25)
Diese Beobachtung trifft sich mit denen des MfS. Olaf stimmt aber nicht direkt den Erklärungsmuster (schwindende Legitimität der SED, FDJ usw.) zu:
Wer Beobachter eines Jugendtreffens der FDJ war, der hat gemerkt, daß die Jugendlichen immer dahinter standen. Jedes Festival, jede Veranstaltung war für die Jugendlichen irgendwas. Die haben bestimmte Erfahrungen mitgenommen. Jugendliche aus nicht-sozialistischen Staaten kennengelernt, oder aus "Bruder-Länder". Nee, nee, es war nicht so, daß sie nicht dahinter standen. Die, die nicht dahinterstanden, das waren schon gewisse Randgruppen, Skins und so weiter. (Olaf: S. 18/Z. 12-18)
Hier geht die Beobachtung an der damaligen Realität vorbei. Natürlich waren es Randgruppen, die sich von den staatlichen Organisationen distanzierten, sonst wären es wohl keine Randgruppen. Zu fragen ist aber, wie sie entstanden und vor allem quantitativ zunehmen konnten, worin die Gründe hierfür lagen.
Entsprechend anders sind Claudias Erfahrungen:
Ich habe ein bißchen andere Erfahrungen gemacht. Ich hatte es schon gemerkt, 1986, daß da kritische Stimmen laut wurden. Ich bin auch mit Klassen hingefahren zu solchen FDJ -Treffen, aber es wurde eben doch zunehmend angemerkt, daß das Großveranstaltungen waren. Ich hatte den Eindruck, daß immer mehr Großveranstaltungen organisiert werden, die kleineren Sachen aber hintendran bleiben. Wer unmittelbar damit zu tun hatte, hat es schon gemerkt. Ich meine, es war ja nicht so, daß, wenn die FDJ was organisiert hatte, daß da eine Fahne hing oder so, eigentlich war vieles von der FDJ organisiert, es waren auch welche in Blauhemden da, aber waren einfach Discotheken. Ich weiß, daß diese Überorganisiertheit bei diesen Treffen immer mehr zugenommen hat. Das hat mir sogar eine Schülerin gesagt, die sehr vernünftig war. (Claudia: S. 18/Z. 20-31)
Ne, [...] sie hat gesagt, sie fährt da nicht mehr hin, weil es sie total angekotzt hat, dieses Hin und Her, zwei Stunden stehen, und dann wieder zehn Schritte laufen. War wirklich nachher schlimm, ich hab mich dann nachher noch entschuldigt, daß ich sie da hindelegiert habe. (Claudia: S. 18/Z. 35-38)
Hierin ist ein Grund für schwindendes Interesse zu finden: Die "kleineren Sachen" blieben hintenan, die Veranstaltungen wurden zu politischen Massenveranstaltungen ausgebaut, ohne Rücksicht auf die Aspekte zu nehmen, die für Jugendliche relevant sind (z. B. Discotheken). Großveranstaltungen, wie sie Claudia beschreibt, standen dem ab Mitte der 70er Jahre aufkommendem Erlebnis- und Abenteuerdrang fundamental entgegen.
Was ist in der aktuellen Situation zu verorten?
Bereits in der ersten kurzen Beschreibung der Jugendlichen faßt Matthias die politische Orientierung der meisten Jugendlichen zusammen:
die meisten wählen die REP's. [...] die meisten haben so'n rechten Stich eigentlich. (Matthias: S. 1/Z. 17-19)
Darüber hinaus spielt Gewalt eine wesentliche Rolle, sogar bei den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 waren die Jugendlichen dabei:
Haben wir uns eigentlich gar nicht so befaßt mit [mit den Ausschreitungen dort, der Verf.]. Weil, die waren ja selber hier aktiv mit, wa. (Matthias: S. 10/Z. 11f)
Die Mädchen bestätigen diese Aussage ebenfalls:
Also, Marzahn war nicht schuld. (Susi: S. 60/Z. 12)
Da waren aber viele bei gewesen. (Doris: S.60/Z. 14)
Und nicht wenig. (Birgit: S. 60/Z. 16)
Problematisch erscheint, daß sich die Sozialarbeiter damit nicht befaßt haben. Eine stärkere Distanzierung ist vonnöten, damit die Jugendlichen sich nicht durch die Inaktivitäten der Sozialarbeiter indirekt bestätigt fühlen.
Die Jugendlichen sind politisch eher desinteressiert, auf die Frage, ob die Jugendlichen politisch interessiert sind, antwortet Matthias:
Na, das ist einfach bloß Macherei. (Matthias: S. 6/Z. 15)
Entsprechend dem politischen Desinteresse sind die Jugendlichen über die Asylproblematik nicht informiert, es werden nur die Schlagwörter aufgenommen.
Die meisten wissen nicht beim Asyl, was dahintersteckt. Die sagen also, das sind Scheinasylanten, Wirtschaftsflüchtlinge, in die Richtung geht das sehr stark. [...] Es besteht also fast kein Wissen darüber, es werden nur diese Schlagworte aufgenommen. (Claudia: S. 6/Z. 27-34)
Das Desinteresse und die Uninformiertheit wiesen in gewissem Umfang auch die interviewten Mädchen auf. Gefragt nach den Veränderungen bezüglich des politischen Systems konnte Susi nicht antworten (S. 40/Z. 10-27),
Weil ich mich - ehrlich gesagt - für sowas nicht interessiere. (Susi: S. 40/Z. 27)
Dieser Aussage stimmt Birgit zu (S. 40/Z. 29), und Susi ergänzt:
Nee, wirklich, das ist so. Ich war früher beim politischen Gespräch immer abwesend. Geb' ich offen zu. (Susi: S. 40/Z. 34f)
Das Interesse beschränkt sich auf die Bereiche, die in den unmittelbaren Lebenskontext der Jugendlichen gehören, z. B. Schule, Ausbildungsplätze usw.
Ich weiß das, was mich interessiert, und damit gut. Also, was für mich was ändert, ist in Ordnung und damit gut. (Susi: S. 40/Z. 45f)
Das ist konkret:
Um Ausbildungsstellen, was damit ist, um die Fahrpreise, schulmäßig, wie das weiterläuft; am besten wäre jägermäßig für mich, wo ich arbeiten gehen sollte. (Susi: S. 41/Z. 8-10)
Katja stimmt dem zu ("Arbeitslosigkeit", S. 41/Z. 12) und Susi ergänzt:
Genau, Arbeitslosengeld. Na, alles so 'was eben. (Susi: S. 41/Z. 14)
Von diesem Aspekt abgesehen, ist das politische Interesse eher gering und oberflächlich. Kenntnisse über Parteien sind sehr gering, die Jugendlichen konnten erst Parteien aufzählen, nachdem die Interviewer eingegriffen haben (S. 54/Z. 31-47 und S. 55/Z. 1-13).
Auch an anderer Stelle wird politisches Desinteresse deutlich: Von Doris abgesehen, konnten die Jugendlichen konnten nichts mit dem Begriff "Montagsdemos" anfangen (S. 46/Z. 11-26).
Lediglich Doris konnte den Begriff inhaltlich füllen (S. 46/Z. 28-30). Hier spielt wahrscheinlich ein Alterseffekt eine Rolle. Da Doris älter ist (19), verfügt sie auch über mehr Wissen als die anderen (alle 16), obwohl der Herbst 1989 trotzdem zu Diskussionen hätte führen müssen, auch bei Jüngeren in der Familie. Zumindest gegenwärtig müßte der Begriff und sein Inhalt bekannt sein.
Ausländerfeindlichkeit/Rassismus und ihre Begründung
Birgit und vor allem Susi sind deutlich rassistisch orientiert. Susi auf Grund ihrer Aussagen und Birgit wegen ihrer Zustimmung:
Weiß ich nicht, also für mich sind das genauso Ausländer wie jeder andere: weil die einfach mal so aussehen. Ein Tscheche sieht auch aus wie ein Ausländer - das siehst du an der Nase. (Susi: S. 64/Z. 16-19)
Birgit stimmt jubilierend zu (S. 64/Z. 21). Rassistisch orientierte Züge lassen sich bei Susi außerdem festmachen an folgender Aussage:
Bloß, sie sieht nun mal aus wie ein Ausländer, und damit ist sie nun schon mal eine Stufe tiefer. (Susi: S. 66/Z. 8f)
Doris' Einspruch, die damit eine differenziertere Wahrnehmung aufweist, löst bei Susi keinen Denkprozeß aus:
Ich kann dir Bilder zeigen, da denkst du nicht, daß das Ausländer sind. Die sehen genauso aus wie ich und du. (Doris: S. 64/Z. 23f)
Susi antwortet:
Ja, ist ja ganz gut und schön, weiß ich nicht... (Susi: S. 64/Z. 26)
Doris' differenziertere Wahrnehmung wird ebenso deutlich an ihrer Erwiderung auf Birgits Aussage, Kreuzberg sei ein "Drecksloch" (Birgit: S. 53/Z. 29):
Wiederum kann man sagen - du sagst, Birgit, Kreuzberg ist ein Drecksloch. Weißt du, was für schaue Ecken es in Kreuzberg gibt? Ey, es gibt wirklich richtig schöne Ecken in Kreuzberg, wirklich. Nicht gerade in Kreuzberg 61 - oder 33 oder wie das da heißt, aber es gibt wirklich richtig geile Ecken da. Da hab' ich selber gestaunt. Muß ich ehrlich sagen. Ich hab' auch den Ruf gehabt: Ich fahr' doch nicht nach Kreuzberg. (Doris: S. 53/Z. 39-44)
Diese Aussage macht sie, obwohl Doris in Kreuzberg gearbeitet hat und dort nicht mehr Berlin trifft:
Nee, auch so. Fährste nach Kreuzberg, na, da triffste ja nun gar nicht mehr Berlin. Ich hab' da 'mal gearbeitet. (Doris: S. 53/Z. 26f)
Hier werden bereits Überfremdungsängste angedeutet, die an anderer Stelle präzisiert werden:
Wenn hier zum Beispiel durch das, daß die andere Leute abfackeln, dadurch erreichen sie immer mehr, daß die immer mehr Haß auf uns haben. Aber um so mehr kommen aber auch. Das versteh' ich nicht. Und dann ist es ja auch so: Nehmen wir 'mal an, ich bin jetzt türkischer Staatsbürger, und du bist jetzt mein Mann, und wir haben fünf Kinder - nehme ich jetzt nur mal an - (allgemeine Heiterkeit), und die fackeln hier unsere Kinder ab. Na, Alter, da würde ich aber meine ganze Mannschaft holen. Und dann würde ich richtig Bambule machen. Und so denken die aber auch. Und um so mehr kommen davon. Kommen immer mehr! Dann kriegen die hier Kinder, die heiraten wieder: Irgendwann ist Berlin dann mal... (Doris: S. 62/Z. 1-11)
...China. (Susi: S. 62/Z.13)
... Violett, grün, pink, schwarz - alles. (Doris: S. 62/Z. 15)
Hier spielen zwei Arten der Überfremdung eine Rolle: Erstens die durch Ausländerzuzug, die zweitens verstärkt wird durch Heirat und Familiengründungen.
Dieses Gefühl wird verstärkt durch einen tatsächlich vorhandenen Ausländerzuzug, insbesondere von Türken, in den Bezirk. Die Jugendlichen werden somit tatsächlich mit etwas Neuem konfrontiert. Bereits die Sozialarbeiter haben darauf hingewiesen:
Hier wohnen schon sehr viele Türken. Ein Teil davon ist 'rübergezogen zu uns, aus dem West-Teil, ich weiß zwar nicht warum, aber sie sind jedenfalls 'rübergezogen. (Michael: S. 5/Z. 29-31)
Die Jugendlichen bestätigen dies. Susi, Doris und Birgit sagen, daß nach der Vereinigung mehr Ausländer in den Bezirk zugezogen sind (S. 57/Z. 43-47) und alle drei sagen, daß dies in erster Linie Vietnamesen ("Fitten") und Türken sind (S. 48/Z. 1-7). Birgit fügt hinzu:
Das sind auch die einzigen, die hier voll groß vertreten sind. (Birgit: S. 58/Z. 9)
Somit verwundert es nicht, daß Türken hier ein Opfer der Vorurteile sind, es kommt hier zur bereits angesprochenen "Verwestlichung" der Vorurteilsstruktur. Dementsprechend ist die Assoziation zum Begriff "Ausländer" eben "Türken". Auf die Frage
Wenn ihr ans Ausland denkt: welches Land fällt euch so spontan als erstes ein? Wenn ihr an Ausland denkt, oder Ausländer? (Interviewer: S. 57/Z. 25f)
wird spontan "Türkei" geantwortet (Doris und Susi: S.57/ Z. 28-41).
Auf Grund eines vermeintlichen Mißverständnisses fragt Doris nach ihrer Antwort "Türkei" (Doris: S. 57/Z. 28) noch einmal nach:
Nee, war 'n Scherz. Das erste Land, wo ich hinfahren würd? (Doris: S. 57/Z. 32)
Dadurch werden die Vorbehalte noch zusätzlich bestätigt. Die Antwort "Türkei" ist ein Scherz unter der Annahme, daß nach dem Land gefragt wurde, wo Doris' als erstes hinfahren würde! Nachdem das Mißverständnis bereinigt wurde, bleibt sie bei ihrer Antwort (S. 57/Z. 38).
Auch gegenwärtig haben die Jugendlichen wenig Kontakt zu Ausländern, er beschränkt sich auf das Notwendige. Doris hat nur auf Arbeit Kontakte zu Ausländern (S. 63/Z. 26-32), in ihrer Freizeit kaum private Kontakte. Da die Jugendlichen einen Großteil ihrer Freizeit im Club verbringen (zumindest Doris und Susi, vgl. S. 31/Z. 15 und 19), der Club aber nicht von Ausländern besucht wird, wie Olaf und Matthias deutlich machen, können auch wenig Kontakte entstehen:
Ich meine, bezeichnend ist das auch, daß hier ein Jugendclub ist und hier absolut keine Ausländer drin sind. (Olaf: S. 5/Z. 13f)
aber ich hab' hier nie einen Ausländer drin gesehen, das heißt, doch einmal, aber... (Matthias: S. 5/Z. 18f)
Ansonsten gibt es noch Kontakte in der Schule. Der Ausländeranteil ist aber sehr gering. Susi bestätigt die Existenz von Ausländern (S. 64/Z. 1-3), auf Katjas Schule dagegen gibt es keine Ausländer mehr:
Also, jetzt gibt es keine Ausländer mehr. Voriges Jahr, wo ich noch 8./9. war, da hatten wir genug Ausländer, und da gab es auch oft Prügeleien. (Katja: S. 66/Z. 23f)
Wie bereits gezeigt wurde, gab es in der Vergangenheit (DDR) wenig Kontakte, gegenwärtig ebenfalls, was sich noch in der Zukunft fortzusetzen scheint. Auf die Frage, ob ein Zusammenleben mit Ausländern möglich wäre unter bestimmten Bedingungen (Arbeit für alle), wird geantwortet:
Solange sie ihren eigenen Scheiß machen, ist es mir egal. (Susi: S. 68/Z. 25)
Es ist allenfalls ein Nebeneinander statt ein Miteinander. Die Distanzbestrebungen sind also recht groß. Dementsprechend würde sich Susi auch ungern von Ausländern helfen lassen (S. 65/Z. 45), wie an ihrem Tonfall zu erkennen ist. Erst nach einer Erläuterung des Interviewers (S. 66/Z. 1f) überwiegt das utilitaristische Moment:
Wenn ich mal keinen Bock habe mitzuschreiben, und die hat das mitgeschrieben, dann lasse ich mir den Hefter geben ist doch logisch. Nein, warum nicht. (Susi: S.66/Z. 4f)
Katja berichtet noch über einen Konflikt mit einem Jugoslawen (S. 66/Z. 36-44), was Doris sofort auf Türken überträgt:
Da haben sich dann die Türken zusammengeschlossen, wa. (Doris: S. 67/Z. 8)
Dies ist ein weiteres Anzeichen für die bereits angesprochene "Verwestlichung" der Vorurteilsstrukturen. "Türken" werden häufiger genannt. Doris' Abneigung gegen Türken läßt sich noch weiter konkretisieren:
Nee, auch so, mit ihrer ganzen Religion - da hätte ich 'nen panischen Schiß, daß, wenn ich mit einem Türken zusammen wäre... Die haben alle so ihre eigene Religion. Damit kommst du gar nicht klar. Das geht nicht. Das zeigt ja auch der Film "Nicht ohne meine Tochter"... (Doris: S. 68/Z. 42-45)
Hier zeigt sich, daß Doris' differenzierte Wahrnehmung Einschränkungen unterliegt. Es werden nicht nur Klischees übernommen, sondern auch übersehen, daß es sich bei dem Ehemann in angesprochenen Film um einen Iraner handelt. Das typische Klischee des iranischen religiösen Fundamentalismus wird auf Türken übertragen, jeder Moslem ist Fundamentalist.
Auch Susi kann sich keine Beziehung zu Ausländern vorstellen, dieses aber aus einem völlig anderen Grund als Doris:
Aber ich würde mich nie mit einem Ausländer einlassen, auf eine Beziehung oder so was. Da kann der noch so gut aussehen. (Susi: S. 68/Z. 25-27)
Weil, sagen wir 'mal, ich habe jetzt zum Beispiel einen Ausländer zum Freund und bin jetzt schon zwei Jahre mit dem zusammen. Und auf einmal gibt es eine Rangelei, dann geht's wieder los, daß die da oben sich wieder entscheiden: die Ausländer sollen alle raus. Und dann muß der gehen. Und da sage ich mir doch, daß das scheiße ist und unterstütze den irgendwo, und dann heißt es wieder: na, dann wollen die Deutschen ja doch, daß die hierbleiben. Das ist scheiße. Allein deswegen könnte ich das nicht. (Susi: S. 68/Z. 34-40)
Hier geht es im wesentlichen darum, nicht in den Verdacht zu geraten, Ausländer im Land behalten zu wollen. Vielleicht gibt es noch eine tiefer liegende Begründung. Susi könnte Angst haben, aus rein pragmatischen Gründen seitens des Ausländers geheiratet zu werden, z. B. zwecks Aufenthaltsgenehmigung:
Für mich ist es auch nicht in Ordnung, daß Ausländer hierher kommen und deutsche Frauen schwängern und dadurch hierbleiben können. (Susi: S. 61/Z. 19f)
Mit dieser grundsätzlichen Einstellung schwingt im Falle einer Liebesbeziehung zu Ausländern immer die Möglichkeit der pragmatischen Heirat mit. Deutliche Distanzierung ist dann die Folge.
Ökonomische Begründungen der Ausländerfeindlichkeit
Ausländer sind im wesentlichen unerwünscht, weil sie Geld kosten, so wird es zumindest gesagt:
Ich meine ja nicht alle Ausländer. Die Leute, die hierher kommen, nicht arbeiten, Sozialhilfe empfangen, die müßten 'raus. Einige nicht, gut, das sind nicht echte. Da kauf' ich auch öfter 'mal ein, da kauf ich mir manchmal 'n Döner oder was. (Katja: S. 51/Z. 1-4)
Hier wird erneut der instrumentelle Charakter zu Ausländern deutlich. Diejenigen, die nützlich sind, dürfen bleiben, überflüssige Sozialhilfeempfänger müssen das Land verlassen.Ich meine die Leute, die überhaupt hierher kommen, um nur abzusahnen. Die Leute, die sich richtig was aufgebaut haben, so'n Chinarestaurant oder 'n richtiger Italiener oder so: ist in Ordnung, aber nicht die Leute, die hierher kommen, um abzusahnen. (Katja: S. 52/Z. 1-4)
Hier wird dies noch einmal konkretisiert. Die "Marktlücke" ist erlaubt. Somit bestätigt sich auch hier die These des instrumentellen Charakters der Einstellungen zu Ausländern. Unmittelbare Opfer sind Sinti und Roma, allerdings scheinen diese in Marzahn aufdringlicher zu sein als sonst, denn hier wird nicht nur auf der Straße gebettelt, sondern auch an die Haustüren geklingelt (Susi und Katja: S. 52/Z. 18-25).
Susi schränkt ihre Ausländer-raus-Haltung dahingehend ein, daß "echte" Flüchtlinge kommen dürfen:
Es gibt zum Beispiel Ausländer, das sind Kriegsflüchtlinge. Bei solchen Leuten verstehe ich das, weiß ich jetzt, aus Somalia die ganzen Kinder, die in Lebensnot sind, also wenn die hergebracht werden und verarztet werden, versteh' ich alles. (Susi: S. 52/Z. 39-42)
Sie schränkt allerdings ein, daß nicht alle nach Deutschland kommen sollten:
Bloß ich verstehe halt nicht, warum die ganzen Ausländer nach Deutschland kommen und nicht in irgendein anderes Land. Das verstehe ich nicht. (Susi: S. 52/Z. 42-44)
Den ökonomischen Aspekt drückt Doris sehr drastisch aus:
Aber kein Geld kriegen die von mir - keinen Pfennig. (Doris: S. 61/Z. 33f)
Diese Aussage von Doris darf nicht verwundern, denn sie verfügt über eine sehr instrumentelle Berufsauffassung, wo der Verdienst eine zentrale Rolle spielt:
Ich bin Birgit und bin 19. [...] Hab' eine Lehre gemacht als Friseurin, mußte die aber aus gesundheitlichen Gründen abbrechen und habe weitergemacht als Visagistin, und das mache ich jetzt, aber wiederum höre ich damit bald auf, weil ich dann als Polizistin anfange ab April. Weil das mehr Kohle bringt. (Doris: S. 30/Z. 1-6)
Der Berufswahl wird vom Verdienst abhängig gemacht. Diese Auffassung geht sogar soweit, daß sie im weiteren Gesprächsverlauf Susi unterstellt, nur des Geldes wegen zu heiraten:
Was! Zu den heutigen Verhältnissen würdest du heiraten? Die Kohle, wa? (Doris: S. 76/Z. 6f)
Entsprechend ihrer Berufsauffassung sind dann auch Doris' Zukunftsvorstellungen:
Ich will mal eine gesicherte Zukunft haben, ein bißchen verdienen, was ich zum Überleben brauche, 'ne schöne Wohnung haben. Aber heiraten und Kinder möchte ich nicht haben, falls du da jetzt drauf gewartet hast. Ich will für mich ganz alleine leben. Ich will mein ganzes Geld für mich... (Doris: S. 75/Z. 31-34)
Ja, du brauchst Kohle. Nee, nee: Ich möchte ein Auto haben, Geld haben und jung und frisch aussehen. (Doris: S. 76/Z. 22f)
Laut Susi sind selbst die Lehrer nur noch am Verdienst interessiert:
Die Lehrer sagen jetzt bloß noch: das ist mein Geld, ob ihr zuhört, ist mir egal. (Susi: S. 42/Z. 24f)
Auf den Punkt bringt Doris ihre Ansichten mit diesen beiden Äußerungen:
Am besten wäre es, wenn man vollkommenen Kommunismus hätte. (Doris: S. 56/Z. 42)
Das heißt für sie:
Daß man sich um nichts mehr 'nen Kopf macht, daß es kein Geld mehr gibt. (Doris: S. 56/Z. 46f)
Hier klingt an, daß Doris überfordert ist, daß es zu viele Dinge gibt, die die Jugendlichen nun selbst in die Hand nehmen müssen. Ähnlich denkt auch Susi:
Sich um alles einen Kopf zu machen, das mach ich nicht, warum soll ich das machen? (Susi: S. 69/Z. 29f)
Die Flucht in die (autoritäre) Sicherheit ist demzufolge eine folgerichtige Reaktion. Den Äußerungen der Jugendlichen zu Folge, scheint die Sozialarbeiterin Claudia mit ihrer Einschätzung recht zu haben:
Alles wird vom Geld regiert und bestimmt. Auch wenn man irgendwas machen will, es ist unheimlich schwer. Wir versuchen es, aber die Großen zum Beispiel sagen, ohne Geld läuft nichts. Geld spielt eine zentrale Rolle. (Claudia: S. 26/Z. 23-35)
Dieses ist aber auch eine Folge unverwirklichter Konsumwünsche, das ein Relikt aus der DDR ist.
Doris allerdings distanziert sich vom Markenfetischismus:
Das hätte sich früher bei uns keiner erlaubt. Wir haben uns ja nicht 'mal getraut, aus der Schule - ich bin hier zur Schule gegangen - 'rauszugehen und schnell 'mal in die Kaufhalle. Da haben wir uns fast in die Hose geschissen. Aber heute machen die ja kein Halt: Da kriegt einer was voll auf die Schnauze. Was du hier so hörst, von den ganzen kleinen Kindern: Du, warst du heute in der Schule? - Schule, was soll ich denn in der Schule? Die gehen lieber irgendwo hin und klauen irgendwo irgendwelche Pullen und Parfüme und verkaufen das, damit sie Geld haben, damit sie sich ihre teuren Klamotten kaufen können. Weil, wenn sie keine teuren Klamotten anhaben, dann sind sie ja der Arsch an der Schule. Und so was versteh' ich nicht. Das krieg' ich in meinen Kopf nicht 'rein. Bei uns an der Berufsschule war es auch nicht so: Was haste denn da für Scheiße an? Das versteh' ich nicht. Ich zieh' das an, was mir gefällt. Ich würde mir ja schon an 'n Kopf fassen, wenn jeder Fünfte den gleichen Pullover anhätte wie ich. Na, ist doch so: der Pirsch hat den Pullover an, der hat den Pullover an - bloß alle in einer anderen Farbe. Na, ist wirklich so. Was denn: Was haste denn an? - Chippy. - Hm, gut. Der Pullover kann scheiße aussehen, Hauptsache, ist Chippy. Da steht aber Chippy drauf, und schon sieht der Pullover richtig gut aus. Es gibt solche Scheißklamotten, wirklich Markenware, die wirklich scheiße aussehen. Oh, kiek 'mal: Ich hab' mir 'nen Iceburgh-Pullover gekauft für 600 Mark - das Teil sieht aus wie 15 Mark im ALDI oder was weiß ich... Aber dann: Ist ja ein Iceburgh-Pullover. Das versteh' ich nicht. (Doris: S. 42/Z. 43-47 und Z. S. 43/Z. 1-18)
Ihre Distanzierung hat aber keine Allgemeingültigkeit, denn sie geht von ihren Erfahrungen in der Berufsschule aus.
Dagegen vertritt Doris eine ziemlich rigide Ausländer-raus-Haltung:
... echt mal - dann würde ich: na ja, 'ne Mauer um mein Land herum ist auch scheiße. Ne, ich würd' die alle raus, egal, ob die sich hier was aufgebaut haben oder nicht: raus, alle raus - alles, was nicht Deutsch ist: raus. (Doris: S. 61/Z. 9-11)
Diese Haltung wird etwas eingeschränkt:
Na, die ganz Alten, die schon reingeholt wurden, damit sie was zu arbeiten haben - das ist was anderes. Aber die, die sich jetzt - hier Dönerstand, so was meine ich - raus; die sind vielleicht ein Jahr hier, die können alle raus - das interessiert mich nicht. (Doris: S. 61/Z. 15-18)
Auch hier wird wieder der utilitaristische Aspekt deutlich: Die "Alten" hatten etwas zum Arbeiten, können folglich bleiben, während der Dönerstand bereits überflüssig ist. Dies hängt damit zusammen, daß es für Doris nicht vereinbar ist, eine Ausländer-raus-Haltung zu vertreten und dennoch welche im Land zu behalten:
Ja, das sind immer die Leute - weißt du: Morgens holen sie sich 'n Döner beim Türken und abends hauen se die auf die Fresse - das versteh' ich auch nicht. (Doris: S. 51/Z. 6-8)
Aber ist wirklich so. Kiek dir doch 'mal die ganzen an, die, weiß ich - bei mir in der Berufsschule gewesen, wa: wir hatten echt viel total rechte Schweine da drin, kannste sagen, kurze Haare, Weiber, richtig abartig. So 'ne Schuhe an. Und da gehen sie in der Pause 'runter und kaufen sich beim Türken ein Döner. Da bin ich ja richtig ausgerastet. Da hab' ich zu denen gesagt: Was denn, hier kauft ihr euch ein Döner, abends haut ihr sie auf die Fresse. Paßt 'mal auf: Wenn ihr so leben würdet, nach richtig Deutsche, dann dürftet ihr nur Bratwurst fressen. Na, was denn? Zum Italiener könnt ihr nicht gehen, Pizza könnt ihr nicht essen, Bier? Na, da dürft ihr euch aber nur das richtige deutsche Bier kaufen, Wodka? Was, Moskowskaja saufen, so 'ne Russenplärre? Aber da kann ich richtig zum Schwein werden, weil ich das nicht verstehe, wenn jemand so richtig hart zu so was steht, dann geht das nicht. Doris: S. 51/Z. 15-27)
Zwar wird gleich eingeschränkt, solch eine harte Haltung nicht zu vertreten (S. 51/Z. 29-34), der weitere Gesprächsverlauf zeigte jedoch, daß sie damit nur das Erscheinungsbild und die Gewalt der "harten Rechten" meint. Denn sie vertritt, wie weiter oben dargelegt, eine rigide Ausländer-raus-Haltung:
alles, was nicht Deutsch ist: raus. (Doris: S. 61/Z. 11)
Ihre Auffassung, was "hart" ist, läßt sich noch verdeutlichen an ihrer Aussage, daß sie weibliche Skinheads wegen des äußeren Erscheinungsbildes als abartig bezeichnet (siehe vorletzten Zitatauszug).
Dies hat seine Ursache darin, daß Doris sich keinen Steuerungsmechanismus vorstellen kann, der den Ausländerzuzug insofern regelt, als unterschieden wird zwischen den sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen (die natürlich nicht kommen dürfen) und denjenigen, die aus politischer Verfolgung kommen dürfen.
Die Frage
Aber wenn ihr meint, die hier nicht arbeiten und auf unsere Kosten leben, müßten raus - wie sollte das dann laufen? Durch Gesetze? (Interviewer: S. 60/Z. 38f)
wird zunächst von Doris dahingehend beantwortet, daß Ausländer nicht einreisen dürften (S. 60/Z. 43). Susis Einwurf (S. 60/Z. 45), daß man nicht wissen könne, warum jemand kommt, stößt bei Doris auf Unverständnis:
Ist mir egal - raus! Das müßten sie mir erst mal nachweisen. [d. h. daß es sich um Kriegsflüchtlinge o. ä. handelt, der Verf.] (Doris: S. 61/Z. 3)
Sie erkennt, daß dieses nicht einfach zu bewerkstelligen ist, wobei sicherlich das durch die Medien und Parteien geförderte Vorurteil, daß nur 5% der Flüchtlinge politisch verfolgt seien, eine Rolle spielt. Als Konsequenz bleibt nur die extreme Haltung, daß alle Ausländer das Land verlassen und niemand hinein darf.
Ist aber auch doof, wa. [der Nachweis, der Verf.] Aber wenn ich was zu sagen hätte - nehmen wir mal an, ich hätte was zu sagen... (Doris: S. 61/Z.3-5)
Die schwierige Kontrolle hierüber hat folgende rigide Haltung zur Konsequenz:
... echt mal - dann würde ich: na ja, 'ne Mauer um mein Land herum ist auch scheiße. Ne, ich würd' die alle raus, egal, ob die sich hier was aufgebaut haben oder nicht: raus, alle raus - alles, was nicht Deutsch ist: raus. (Doris: S. 61/Z. 9-11)
Das Verhältnis zur Gewalt ist ein ambivalentes. Zunächst muß unterschieden werden zwischen Gewalt, wie sie sich in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 gezeigt hat, und selbst ausgeübter bzw. angedrohter Gewalt.
Die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen stoßen bei Doris auf deutliche Ablehnung. Susi fragt dagegen nach einem Grund, somit nach einer Legitimation der Gewalt:
Einfach so angegriffen, oder aus irgendeinem Grund? Ich weiß die Vorgeschichte nicht mehr genau. (Susi: S. 59/Z. 17f)
Doris distanziert sich sofort deutlich:
Für sowas gibt's überhaupt keine Gründe. Ich find das nicht in Ordnung. (Doris: S. 59/Z. 22)
Daraufhin entgegnet Susi:
Ich finde, daß die Leute, die das gemacht haben, mächtig Mut hatten. (Susi: S. 59/Z. 24)
Susi besitzt also eine gewisse Affinität zur Gewalt insofern, als sie befürwortet wird. Später allerdings setzt im weiteren Diskussionsverlauf ein Meinungswandel ein, der durch Doris' Äußerungen provoziert wird. Der Wandel setzt schrittweise ein:
Boh, da gehört doch kein Mut zu. Da holst du Dir irgendeinen Pipel, sagst dem: so und so viel Kohle kriegste, und nun mach 'mal! Das machen die, für Geld machen die das Arbeitslose, Idioten, alles. Da gibt's doch sogar Leute, die würden einen abstechen für Kohle. Also: das hat mit Mut überhaupt nichts zu tun und mit Intelligenz schon gar nicht. (Doris: S. 59/Z. 26-30)
Hier wird noch einmal Doris' Fixierung auf Geld deutlich. Hiermit erklärt sich für sie sehr viel. Nach einigem Durcheinander entgegnet Susi:
Nein, ich finde das vor allem nicht in Ordnung, weil da Kinder drinne waren. (Susi: S. 60/Z. 20f)
Die Männer hätten sie ja abfackeln können. [Dies ist ironisch gemeint, der Verf.] Das finde ich scheiße: das sind doch Menschen! (Doris: S. 60/Z. 24-26)
Ein Erwachsener kann sich helfen, aber was sollen denn die Kinder machen? (Susi: S. 60/Z. 28f)
Ja, wie soll sich denn ein Erwachsener helfen, wenn da so drei Dinger reingeflogen kommen und der pennt... Da kann der auch nichts mehr machen. (Doris: S. 60/Z. 31-33)
Ist doch seine Schuld, wenn er pennt... Das war jetzt alles ein Scherz. Das war alles scheiße, das möcht ich dazu sagen. (Susi: S. 60/Z. 35f)
An diesem längeren Gesprächsauszug wird deutlich, daß bei Susi ein Denkprozeß eingesetzt hat. Dies zeigt, daß mit den Jugendlichen gearbeitet werden muß, es muß ihnen Widersprochen werden, es genügt eben nicht, ihnen einfach nur in Form des Jugendclubs Räume zur Verfügung zu stellen, um sie auf diese Weise von der Straße zu holen. Dies ist eine notwendige Bedingung, aber keine hinreichende. Es kann mehr gemacht werden. Politisch motivierte Gewalt ist gegenwärtig verpönt, war anscheinend eine Modeerscheinung für Susi:
Nee, mit so was [d. h. mit militanten Organisationen wie z. B. NF, DA, der Verf.] haben wir nichts zu tun. Bin neutral. Dies ist keine richtige Szene, das war einmal.(Susi: S. 55/Z. 23f)
Hingewiesen werden muß noch auf die Selbsteinschätzung "neutral". Auch hier liegt ein typisch ostdeutsches Phänomen vor: Die Links-Rechts-Einschätzung ist stärker nach links "geneigt", d. h. man bezeichnet sich eher als links, auch mit Einstellungen und Orientierungen, die dem konservativen (rechten) Spektrum zuzuordnen sind. Doris schätzt sich ähnlich ein:
Ich kann mich damit identifizieren, daß ich eigentlich total neutral bin. Ich finde gut, was die 'mal machen, gewisse Punkte mag ich aber nicht, die diskutier ich auch aus... Hält sich die Waage, ich kann dazu nichts sagen. Das ist alles zu verschieden. (Doris: S. 51/Z. 36-39)
Selbst ausgeübte Gewalt (d. h. Prügelei u. ä. Handgreiflichkeiten) wird zumindest verbal sowohl von Susi als auch von Doris angedroht. Doris droht mit Gewalt, wenn Sinti und Roma an der Haustür betteln (die Szenerie wurde bereits beschrieben):
Denen würde ich ein paar auf die Fresse hauen! (Doris: S. 52/Z. 32)
Die Gewalt wird auch Linken gegenüber angedroht. Auf die Frage, was Zecken sind, macht sie eine Fußbewegung wie beim Austreten einer Zigarette (S. 50/Z. 40f).
Der schulischen Konflikt, den Susi beschreibt (S. 65/Z. 1-12), wird ebenfalls mit Gewalt "gelöst":
Darum bin ich einfach mal zu ihr hingegangen und habe gesagt, sie möchte nicht wieder so eine große Klappe haben, ansonsten kriegt sie mal nach der Schule eine, und dann ist gut. Das war es. Seitdem guckt sie zwar ein wenig komisch. (Susi: S. 65/Z. 8-12)
Doris' ironische Bemerkung im Anschluß hieran (S. 65/Z. 14f) zeigt ihre Akzeptanz dieser Form der Gewalt erneut.
Ansonsten zeigt sich an den bisherigen Darlegungen, daß andere aus dem Jugendclub sich an den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen beteiligt haben.
Affinitäten zu rechtsradikalen Organisationen und Parteien
Auffallend ist, daß die Jugendlichen über eine geringe externe Kontrollerwartung verfügen, d. h. die Jugendlichen glauben, daß sie die Politik kaum beeinflussen können. Dementsprechend wird die Frage
Und glaubt ihr, daß ihr die Politik beeinflussen könnt? (Interviewer: S. 48/Z. 44)
verneint. Allerdings gibt es eine Diskrepanz zwischen der Lokalpolitik (Belange des Jugendclubs) und der Bundespolitik. Susi berichtet über Demonstrationen für den Jugendclub (Susi: S. 49/Z. 3-7). Hier konnte ihrer Meinung nach etwas beeinflußt werden, nicht jedoch die Bundespolitik:
Wir haben aber was erreicht. Irgendwo haben wir was damit erreicht. Irgendwo können wir sie also doch beeinflussen. In so 'nen Sachen ja, aber ich würde sagen, in Sachen, wenn ich - ich kann mich nicht davorstellen und schreien: Hey Kohl, sorg' doch 'mal dafür, daß die Arbeitslosen ein bißchen weniger werden! (Susi: S. 49/Z. 11-15)
Dies bedeutet, daß sich die Jugendlichen von der Bundesebene nicht wahrgenommen fühlen. Dies hat zur Folge, daß rechtsradikale Gruppierungen auf Grund ihrer Gewalt auf Akzeptanz stoßen. Die Jugendlichen grenzen sich zwar von der Ideologie ab, erkennen aber den Einfluß solcher Gruppen.
Na gut, das sind schon Organisationen, die schon ein 3. oder 4. Reich haben wollen. Findest du das sympathisch, findest du das o.k., daß es solche Organisationen gibt, die so was fordern? (Interviewer: S. 56/Z. 5-7)
Ne. Finde ich nicht in Ordnung. (Susi: S. 56/Z. 9)
Aber durch solche Organisationen, sag ich jetzt 'mal von der linken oder von der rechten Szene wird immer irgend etwas gemacht - wie soll ich das sagen... So, daß die Politik immer ein bißchen nachdenkt. Doris: (S. 56/Z. 11-13)
Susi lenkt nun ein:
Ja ja. Daß die sich irgendwo sagen: Da muß doch irgendwas sein, die müssen doch durch irgendwas ihre Aggressionen losbauen. (Susi: S. 56/Z. 15f)
Hier zeigt sich, wie politisch reagiert werden müßte: Die Jugendlichen müssen mit ihren Problemen ernst und erst einmal wahr genommen werden, wenn man die Akzeptanz gewalttätiger Gruppen senken will. Solange nur durch die Existenz solcher Gruppen "die sich irgendwo sagen: Da muß doch irgendwas sein, die müssen doch durch irgendwas ihre Aggressionen losbauen" Politik beeinflußt werden kann, ist der Abbau von Frust schwer möglich, denn
ich [Susi] kann mich nicht davorstellen und schreien: Hey Kohl, sorg' doch 'mal dafür, daß die Arbeitslosen ein bißchen weniger werden! (Susi: S. 49/Z. 13-15)
Wenn rechtsradikale Gruppierungen aber diesen Aufschrei bedeuten, dann müssen Wege gefunden werden, sich anders zu artikulieren. Ein Beispiel für den "Druck von unten" ist die Änderung des Asylrechts bzw. die Änderung des Artikel 16 (2) Satz 2 GG, das nicht - wenn überhaupt - in der Atmosphäre der Ausschreitungen hätte geändert werden dürfen. Die erfolgte Änderung ist eine Bestätigung für die gewalttätigen Gruppen, denn schließlich wurde etwas erreicht. Dementsprechend berichtet Claudia über die Reaktionen Jugendlicher auf die Änderung des Asylrechts:
Ich hatte 'mal so ein Gespräch. Und da wurde eigentlich gesagt, na ja, es müßte was passieren, und das war richtig. Die meisten wissen nicht beim Asyl, was dahintersteckt. (Claudia: S. 6/Z. 26-28)
Das Wahlverhalten entspricht den Ansichten über Ausländerpolitik. Es werden bzw. würden (wenn die Jugendlichen wählen könnten, also alt genug wären), die Republikaner gewählt. Doris als ältere hat dies bereits getan (S. 49-50). Sie scheint sich aber unschlüssig zu sein, wen sie nächstes Mal wählen wird, denn sie fragt Susi:
Wen würdest du wählen, Susi? (Doris: S. 49/Z. 24)
und kommentiert
Tschuldige, daß ich jetzt 'mal gefragt habe. Zum heutigen Standpunkt, wüßteste nicht, wa? (Doris: S. 49/Z. 28f)
Sie ist sich zumindest sicher, wen sie nicht wählen wird: Kohl und damit die CDU (S. 49/Z. 37). Ihr sicheres Auftreten hier paßt zu ihrer Persönlichkeit. Eine rigide Ausländer-raus-Haltung und dennoch differenzierte Wahrnehmung. Es entsteht der Eindruck, daß alle ihre Äußerungen auf einem festeren Fundament stehen, also jenseits diffuser Protesthaltungen, die häufig den REP-Wählern unterstellt werden.
Sie berichtet weiter, daß sie bereits die REPs gewählt hat. Es zeigt sich, daß dies ihre Gründe in ihren politischen Ansichten hat:
Warum ich die gewählt habe? Weil ich finde, das Programm, das die haben, finde ich total geil. (Doris: S. 50/Z. 1f)
Zum Beispiel mit den Ausländern. Ich finde das gut, weiß ich auch nicht. Vielleicht ist es auch so, daß der Schönhuber gut quatschen kann, ich weiß nicht. Jedenfalls damals, wo ich sie gewählt habe - ich hab' sie ein Jahr lang gewählt, da - was der erzählt hat - weiß nicht - mit den ganzen Ausländern und böh, was hier nicht 'reingehört - wie, kann ich jetzt nicht mehr wiedergeben, aber... auch so, was er alles erzählt hat, Alter... muß er ja nicht verwirklicht haben - ist ja auch egal, oder auch nicht egal... das fand ich gut, und deshalb habe ich die gewählt. (Doris: S. 50/Z. 6-13)
Hier wird ebenso deutlich, daß sie inhaltlich nicht sehr gut informiert ist. "Ausländer raus!" ist das Wesentliche, obwohl sie sich über die Medien informiert hat (S. 50/Z. 18). Für Birgit ist das Bekenntnis, REPs zu wählen, noch tabuisiert, denn auf die Frage, ob die Jugendlichen die REPs wählen würden (S. 49/Z. 39f), antwortet sie:
Ehrlich gesagt: ja. (Birgit: S. 49/Z. 44)
"Ehrlich" deutet auf eine Tabuisierung, auf etwas Unangenehmes hin.
Wirtschaftliche Unsicherheiten und Zukunftsperspektiven
Den wirtschaftlichen Unsicherheiten entsprechend wird über die Bundesrepublik gesagt:
Alles teurer. (Susi: S. 40/Z. 17)
Also, es hat sich verändert, daß es zu viele Arbeitslose gibt. (Susi: S. 41/Z. 22)
Hier zeigt sich erneut die Rolle der Arbeitslosigkeit in den Neuen Ländern, die schon deswegen eine andere Qualität hat, weil es in der DDR so gut wie keine Arbeitslosigkeit gab. Die Menschen waren immer abgesichert, so daß die neue Situation an sich bereits stärker psychisch belastend ist. In der alten BRD wuchs man immerhin mit Arbeitslosigkeit auf. Die Angst vor Arbeitslosigkeit geht sogar soweit, daß man sich nicht traut, sich krank zu melden, weil man befürchtet, den Arbeitsplatz zu verlieren.
Susis interne Kontrollerwartung, d. h. Selbstsicherheit zur Verwirklichung der angestrebten Ziele, und ihre Zukunftserwartung ist geringer als bei Doris. Auf die Frage, ob Susi ihr Leben im Griff hat (S. 76/Z. 42) grenzt Susi sich von Doris ab und antwortet:
Also ich noch nicht... (Susi: S. 77/Z. 1)
Susi besucht eben noch die Schule (10. Klasse Realschule, S. 29/Z. 8):
Also ich würde sagen: Ich habe in der Schule jetzt einen Notendurchschnitt von 3,2. Ich würde sagen, der ist in Ordnung. Über Sechsen kann ich nicht klagen. Ich hab' keine Sechsen, weil das ist 'ne nicht erbrachte Leistung, und ich bin in der Schule. Da hab' ich keine Sechsen. (Susi: S. 45/Z. 30-33)
Der Notendurchschnitt ist gerade durchschnittlich, sie besucht die Schule aber regelmäßig. Ihre beruflichen Aussichten sind schwer einzuschätzen, woraus ihre Unsicherheit resultiert.
In zwei Jahren - da weiß man ja noch nicht, was da so läuft. (Susi: S. 76/Z. 3)
Doris hingegen, die beruflich auf festeren Beinen steht, antwortet auf die Frage der Zukunftsaussichten hingegen:
Also ich bin der Meinung, daß ich mein Leben voll im Griff habe, in meinen Händen, mir redet keiner 'rein. (Doris: S. 76/Z. 45f)
Doris' bessere Absicherung wird im folgendem deutlich:
Hab' eine Lehre gemacht als Friseurin, mußte die aber aus gesundheitlichen Gründen abbrechen und habe weitergemacht als Visagistin, und das mache ich jetzt, aber wiederum höre ich damit bald auf, weil ich dann als Polizistin anfange ab April. Weil das mehr Kohle bringt. (Doris: S. 30/Z. 3-6)
Doris ist sich auch sicher, ihre Ziele erreichen zu können:
Ich ja. Ich glaub, wenn ich ganz fest dran glaube, dann schaffe ich das auch. (Doris: S. 76/Z. 39f)
Arbeitslosigkeit ist in den Familien immer präsent, denn die Mütter der Interviewten (von Katja abgesehen) sind alle arbeitslos (S. 30/Z. 18-40):
Das Schlimme ist ja: Meine Mutter erzählt immer was von den Arbeitslosen. (Birgit S. 48/Z. 21f)
Das wesentliche für die Jugendlichen ist zunächst, daß ihnen Räume zur Verfügung gestellt werden, sie von der Straße wegkommen. Der Club hat die ganze Woche lang geöffnet (Matthias: S. 1/Z. 44) von 1300 bis 2100 Uhr. Freitags und Samstags "erst" ab 1600 Uhr, dafür findet dann auch eine Disco statt. Früher hatte der Club sogar noch länger geöffnet (er war schon vormittags offen), was zur Folge hatte, daß viele dann nicht die Schule besuchten, sondern sich nur noch im Club aufhielten. Dennoch verbringen die Jugendlichen ihren Großteil ihrer Freizeit im Club und in Marzahn (S. 17/Z. 39-41).
Die interviewten Jugendlichen fassen es in einem Satz zusammen:
Das ist unser Zuhause. (Doris: S. 31/Z. 15)
Von Montag bis Sonntag durchgehend. Also nach der Schule so ab vier Uhr. (Susi: S. 31/Z. 19f)
Es muß noch erwähnt werden, daß es kaum Freizeitangebote in der näheren Umgebung gibt. Auf die Nachfrage einer Diskothek, deren Namen häufig fällt (S. 34/Z. 1f), wird geantwortet:
Na ja, sagen wir 'mal so: nicht angesagt, sondern im Umkreis ist hier nichts anderes. (Doris: S. 34/Z. 6f)
Die interviewten Jugendlichen verlassen am Wochenende den Bezirk, sofern ein Auto vorhanden ist (S. 34/Z. 13-24) und genug Geld (Doris: S. 34/Z. 44f). Die S-Bahn wird aus Angst vor Gewalt nicht benutzt:
Ich fahre doch nicht Bahn. Ich will doch nicht 'n paar auf die Fresse. Ich hab' schon genug auf die Fresse gekriegt. (Doris: S. 36/Z. 17f)
Ansonsten gibt es noch ein Fitneßcenter, das besucht wird:
Nichts. Fitness-Center, das ist alles, was ich noch mache. Ja, sonst ist hier nichts los. Ich geh' immer zu meinem Bruder, da ist es immer lustig. Ansonsten ist nichts. (Doris: S. 35/Z. 28-30)
Hieran wird die Bedeutung des Clubs deutlich: Es werden Freizeitangebote zur Verfügung gestellt, die insbesondere für Jüngere wichtig sind. Denn sie können wegen ihres Alters (12 Jahre) ohne weiteres nicht in andere Bezirke fahren.
Den Jugendlichen stehen eine Tischtennisplatte, Billard, diverse Gesellschaftsspiele und ein Videogerät zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es noch:
Fußball, Shutokan, Karate, Dart spielen, verschiedene Spiele. (Olaf: S. 13/Z. 27)
Mitten in der Woche hast du noch die "AG Proberaum" für Gruppen, wer Interesse hat, kann vom Discotheker lernen, wie eine Anlage bedient und aufgebaut wird, die lernen die technischen Details. Der Rest sitzt da, hört sich Musik an, tanzt oder macht sonst was. Wir haben noch eine "AG junger Zauberer". (Michael: S. 13/Z. 29-33)
Außerdem ist noch eine Mädchengruppe im Aufbau (S. 13/Z. 39-46 und S. 14/Z. 1-12). Olaf faßt dies folgendermaßen zusammen:
Wir haben schon ein gutes Programm und bieten eine ganze Menge. (Olaf: S. 13/Z.35)
Mit dem regelmäßigen Besuch des Clubs geht die Übernahme von Verpflichtungen, z. B. Tresendienst u. ä. einher. Allerdings müssen die Jugendlichen hierzu aufgefordert werden, die Arbeit wird häufig von den selben Jugendlichen erledigt:
Obwohl sie hier ganz schön in die Mangel genommen werden. Es ist echt so. Wenn bestimmte Aufgaben anstehen, dann ist es zwar immer der gleiche Jugendkreis der angesprochen wird und die was machen aber, ... (Olaf: S. 19/Z. 11-13) [...]
Zum Beispiel haben wir heute eine Aktion gestartet, den Müll 'runter zu tragen. Da haben die Kids eben von sich aus angefaßt. Nachdem wir sie gebeten haben. (Olaf: S. 13/Z. 16-18)
Ein paar von den Älteren machen eben bei Renovierungen öfters mit. (Claudia: S. 13/Z. 19)
Ausgeschenkt werden nur antialkoholische Getränke und Bier. "Härtere" alkoholische Getränke sind eigentlich verboten. Viele Jugendliche stehlen aber häufig Weinbrandflaschen, die dann recht offen in den Club mitgebracht werden. Die Sozialarbeiter reagierten darauf nicht.
Der Umgang mit den Jugendlichen ist bestimmt durch Vertrauen und ein freundschaftliches Verhältnis, das nicht einfach aufzubauen ist.
Manchmal habe ich das Gefühl, die betrachten mich nicht als Sozialarbeiter, sondern als guter Kumpel. (Matthias: S. 21/Z. 23f)
Dies wird im wesentlichen dadurch erreicht, daß versucht wird, Schäden zu begrenzen und wieder gut zu machen, ohne daß die Polizei sofort gegen die Jugendlichen ermittelt.
Wir haben auch schon Fälle gehabt, da wurde hier geklaut. Ach, ein Theater war das: Anzeige gemacht, und dann wollte die Polizei wissen, wer der Täter nun war, und dann hatte sich der Direktor Hein dafür eingesetzt, daß ich meine Aussage verweigern kann, und all so ne Kacke. Weil die haben das Diebesgut wieder zurückgebracht, und da haben wir, glaube ich, auch schon ganz schön was geleistet, irgendwo. Wir wissen ganz genau, wann hier was geklaut wird, wissen wir's eigentlich. Wir gehen mit der Methode vor, daß man sich hilft. Wenn ich sie jetzt anscheiße, ist es sowieso vorbei, ne. Dann machen sie 's weiter und hauen ab. (Matthias: S. 3/Z. 11-19)
Ein Abwandern der Jugendlichen durch zu drakonischen Strafen soll also vermieden werden. Die Jugendlichen gewinnen somit Vertrauen zu den Sozialarbeitern, in dem sie nicht verraten werden.
So alle vier Wochen hat die Barth angerufen, vorletztes Mal hatten wir 'mal ein Gespräch gemeinsam mit anderen Clubs, der Polizeichef aus Marzahn war da. Na ja, natürlich wollen sie Namen wissen, aber das kann ich nicht machen. (Matthias: S. 3/Z. 23-26)
Dieses Vorgehen ist erfolgreich, wie aus Olafs Erläuterungen hervorgeht:
Es ist natürlich auch so, daß die Jugendlichen, wenn sie irgendwo Scheiße gebaut haben, daß sie von alleine kommen, entweder Matthias ansprechen, oder Claudia oder mich. So daß sie also ihre Probleme zum Besten geben, wir also Einfluß nehmen können, beraten können, was sie zu machen haben. Es läuft eigentlich ganz gut und ist für die Art von Jugendlichen, die wir hier drin haben, auch eigentlich ziemlich erstaunlich, wa, daß sie so viel Vertrauen zu einem gefaßt haben. (Olaf: S. 3/Z. 28-34)
Hier muß allerdings eingeschränkt werden, daß einige Jugendliche, die der "härteren" Skinheadszene zuzuordnen sind, eben doch abgewandert sind (Michael: S. 6/Z. 1). Das Dilemma, in dem die Sozialarbeiter stecken, wird an Matthias' Ausführungen deutlich:
"Geisenweider", das ist ein Club. Aber da sollen sie auch schon wieder rausgegangen sein, weil die Polizei von Marzahn mitgekriegt hat, daß hier also so, äh, von Nazis Feten gefeiert worden sind, mit dem Vorwand 'Geburtstagsparty'. Nur jeden zweiten Tag 'ne Geburtstagsparty, ist natürlich auch ein bißchen eigenartig. Und wie ich aus Gesprächen mit Clubmitgliedern mitgekriegt habe, sind sie wohl aus der Geisenweide weg, ohne gesagt zu haben, wohin sie gehen. (Matthias: S: 6/Z. 5-11)
Das Dilemma besteht darin, daß wenn zu stark von den Sozialarbeitern eingegriffen wird, die Jugendlichen abwandern und sich somit jeglichen "Zugriffs" entziehen. Dann sind sie häufig gewalttätig aus Frust und Langeweile. Im Club kann zumindest ein wenig Einfluß genommen werden insofern, als das Motiv "Frust" eingedämmt werden kann. Auf diesen Hintergrund lautet das Fazit:
Da gibt's welche, die sind natürlich ein bißchen härter, aber die kommen nicht so oft, die sind jetzt teilweise in der "Geisenweide", kommen bloß ab und zu mal ein bißchen gucken. Und das hat sich eigentlich, sagen wir mal, äh, für die Verhältnisse, der "Marzahner" hat mal einen schlechten Ruf gehabt, also das war ja mal die Nummer 2 in Marzahn, also erst kam die "Schwarzwurzel", dann kam der "Marzahner", aber die Hool-Zeiten sind vorbei eigentlich. Ich glaube, das haben wir auch alles ganz gut in den Griff gekriegt hier. (Matthias: S. 1/Z. 19-27)
Das Problem der "Hool-Zeiten" hat sich eher durch Abwandern gelegt. Mit den verbleibenden Jugendlichen werden verschiedene Aktivitäten unternommen. Einfluß wird dabei auf Jüngere genommen, die sich als "diskutierfähig" erweisen:
Wenn mal darüber gesprochen wird, mit den Kleineren kann man manchmal noch diskutieren, und die geben dann auch bestimmte Dinge zu. Wenn sie zum Beispiel Ausländer kennen und die ja nun doch nicht so böse sind, aber ich meine, oft wird nicht darüber gesprochen. (Claudia: S. 6/Z. 34-38)
Vielleicht sollte doch häufiger darüber gesprochen werden. Allerdings hat die Beschäftigung mit den Jüngeren seine Berechtigung, denn für sie üben Ältere oft Vorbildfunktionen aus:
Na, und dadurch sind die Kleinen natürlich bestrebt, natürlich irgendwie, da tun sie so, als wenn sie rechts orientiert sind. (Matthias: S. 4/Z. 15f)
Die Älteren bilden den organisatorischen Kern:
Hier war auch schon einer in der DA drin, aber das sind wirklich einzelne, und ich muß sagen, der harte Kern, so groß ist er nun auch wieder nicht. Aber der ist entscheidend, weil der das eigentlich organisiert hier drin. (Matthias: S. 36-39)
Dabei können recht viele mobilisiert werden:
Ich sage 'mal, also zu guten Zeiten - für die jetzt - haben sie 150 Leute oder so zusammengekriegt. (Matthias: S. 5/Z. 43f)
Die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen waren kein Thema im Club:
Haben wir uns eigentlich gar nicht so befaßt mit [mit den Ausschreitungen dort, der Verf.]. Weil, die waren ja selber hier aktiv mit, wa. (Matthias: S. 10/Z. 11f)
Dies ist eine Laisser-faire-Haltung, die hier fehl am Platz ist. Wenn die Jugendlichen Vertrauen zu den Sozialarbeitern haben, dann sollte dieses auch ausgenutzt werden. Denn politische Standpunkte werden - so die Sozialarbeiter - akzeptiert:
Und im Prinzip hat man hier nur 'ne Chance, wenn man seine politische Stellung im Prinzip klar stellt. Ich habe damals also gesagt, ich wähle also die Christen, und dazu stehe ich auch, und dadurch sagen sie mir auch offen und ehrlich ihre politische Einstellung. Ich sage ihnen auch, daß ich politisch aktiv bin, und sie sagen es mir auch, und dann ich eben ohne Gewalt, und manche sagen eben mit Gewalt. (Matthias: S. 4/Z. 29-38)
Zwar sagt Matthias hier "ohne Gewalt", doch steht diese Aussage im Widerspruch zu der vorhergehenden, sich nicht mit Rostock-Lichtenhagen befaßt zu haben, weil Jugendliche aus dem Club sich beteiligt haben. Es ist zu befürchten, daß dem nicht genug entgegengesetzt wird. Matthias scheint nur seine Einstellung entgegenzusetzen. Ein Grund hierfür ist in der Sozialisation der DDR zu finden, Verbote machen auf die Jugendlichen weniger Eindruck:
Aber man kann nicht, ich habe hier schon welche erlebt, die haben sich eingebildet, man könnte hier was verbieten, aber das geht einfach nicht mehr. Weil die meisten vergessen, daß in den DDR-Zeiten das nicht umsonst gemacht wurde, daß durch diese Struktur die Leute abgeschoben wurden, die nicht in die Struktur 'reingepaßt haben. (Matthias: S. 4/Z. 38-43)
Weil, in der Ex-DDR bist du zu sehr kontrolliert worden. Auf jedem Gebiet, ob's nun auf dem Arbeitsgebiet ist, auf dem persönlichen Sektor oder so. (Olaf: S. 27/Z. 43-45)
Dies ist ein weiteres Erschwernis der Sozialarbeiter: Auf Grund der Sozialisation der Jugendlichen in der DDR lassen sie sich weniger Vorschriften machen.
Die Sozialarbeiter im Jugendclub haben freie Hand insofern, als ihre Vorgesetzte Jugendstadträtin Fr. Dr. Barth den Mitarbeitern gewähren läßt. Dies ist vorteilhaft, weil die Sozialarbeiter "ihre" Jugendlichen am ehesten kennen und somit eher wissen, was zu tun ist:
Dann bin ich zur Barth gegangen, und das war die erste Person, die mich aktiv unterstützt hat. Die also wirklich gesagt hat, sie können hier machen was sie wollen, Hauptsache - ach ich weiß auch nicht. Auch wenn sie politisch anders ist als ich, sie hat mich völlig unterstützt. Und dann ist das hier auch so richtig vorangegangen. Ich bin dann regelmäßig zu ihr hingegangen, das war ganz toll. (Matthias: S. 20/Z. 13-18)
Es handelt sich also nicht um eine "Schreibtisch-Pädagogik".
Susi steht beruflich noch nicht auf festen Beinen, so daß sie unsicherer als Doris ist. Sie verfügt über ein rigideres Denken, daß rassistisch orientierte Züge aufweist. Sie reagiert nicht auf Doris' Einspruch. Aber der durch Doris eingeleitete Meinungswandel über rechte Gewalt zeigt, daß Susi beeinflußbar und lernfähig ist, daß man mit ihr reden kann. Auch hier gilt, daß die Sozialarbeiter stärker in die Diskussionen eingreifen sollten, wenn Vorurteile abgebaut werden sollen.
Andererseits befürwortet sie rechtsextreme Organisationen insofern, als daß dadurch die Politik beeinflußt werden kann. Sie ist aber über den Inhalt und die Ziele solcher Organisationen nicht informiert und grenzt sich von ihnen ab. Sie ist deshalb rechtsradikal orientiert, zusätzlich rassistisch orientiert. Außerdem scheint sie Gewalt auszuüben, sie droht sie zumindest an als "Konfliktlösungsstrategie".
Doris' Selbstsicherheit und ihre Zukunftsaussichten stehen in einem engen Zusammenhang mit ihrem beruflichen Erfolg.
Doris zeigt bei einigen Themen eine differenziertere Wahrnehmung als die anderen (Erscheinungsbild Kreuzbergs, ihr Widerspruch zu Susis rassistisch orientierter Argumentation u. ä.). Um so unverständlicher und problematischer ist ihre rigide Haltung Ausländern gegenüber. Unverständlich deswegen, weil ihre differenzierte Wahrnehmung darauf hindeutet, daß sie sich über die angesprochenen Themen ein Urteil gebildet hat und somit über Ausländerpolitik auch.
Hier müßten die Sozialarbeiter eingreifen und die differenzierten Wahrnehmungspotentiale fördern und versuchen, sie bei Doris auf andere Problembereiche zu übertragen, damit Vorurteile abgebaut werden können.
Mit dieser Aufgabe scheinen die Sozialarbeiter überfordert, denn mit der Laisser-faire-Haltung wird Doris ihre Vorurteile beibehalten. Darüber hinaus sagen die Sozialarbeiter häufig, daß man nur mit Jüngeren diskutieren könnte, Doris aber gehört schon zu den älteren Jugendlichen.
Doris ist im Gegensatz zu Susi eindeutig nicht rassistisch, allerdings wie Susi rechtsradikal orientiert auf Grund der Gewaltakzeptanz. Sie ist auf Grund ihrer ökonomischen Argumentation als ethnozentristisch orientiert einzuschätzen. Dies hängt eng zusammen mit ihrer instrumentellen Berufsauffassung, Geld ist für sie ziemlich wichtig.