2711 Stelen aus grauem Beton mit Höhen zwischen fast 0 bis über 4 Meter auf 19073 Quadratmeter Fläche, dazwischen in engem Raster rechtwinkelig und in regelmäßigen Abständen angelegt diverse Gehwege, gepflastert, knapp einem Meter breit, manchmal abschüssig, dann wieder leicht ansteigend, hinzu kommt noch ein unterirdischer sg. „Ort der Information“: das ist in kurzen Worten das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Idee bei der Konzeption des Mahnmals war: dass das Unfassbare (der Holocaust) nicht mit herkömmlicher Symbolik umzusetzen ist, der Holocaust Unordnung in die Ordnung der Zivilisation brachte. Raster als Symbol der Ordnung, unregelmäßig an- und absteigende Wege, teilweise leicht geneigt stehende Stelen, um die Unordnung im System zu symbolisieren. Jeder Kunstinteressierte, der diese Zeilen liest, kann erahnen, dass das Ergebnis ein abstraktes Monument ist, das sich nicht von selbst erklärt. Auch dies liegt in der Intention des Architekten.
Mich persönlich spricht das Mahnmal nicht an. Ich bin mir sicher, dass dies nicht nur am gegenwärtigen Trubel und am Besucherandrang liegt, die ein kontemplatives In-sich-gekehrt-sein zur Zeit verhindern.
Weil aber dies Mahnmal (angeblich weltweit) das einzige ist, das an eigene Unmenschlichkeit und Grausamkeit erinnert, der Holocaust noch eine sehr junge Vergangenheit ist, denke ich kaum, dass der Besucherandrang nachlassen wird. Auch ohne Besucherandrang würde mich das Mahnmal nicht ansprechen. Es ist zu beliebig, zu abstrakt. Ich kann keine Vorstellung vom Holocaust, geschweige denn Empathie mit den Opfern, entwickeln, wenn ich durch die engen Gassen laufe.
Vielleicht liegt es daran, dass ich mich zu ausführlich mit der Thematik auseinander gesetzt habe (der erste Wettbewerb wäre fast mein Diplom-Thema geworden, wenn man aus dem ersten Wettbewerb ein Mahnmal realisiert hätte). Viele Gedenkstätten und -orte habe ich bereits gesehen, andere haben mich deutlich mehr angesprochen.
Beispielsweise in Israel in Yad Vashem: Dort steht ein echter Güterwaggon auf Gleisen, die in einem tiefen Abgrund hineinragen oder das Memorial für die ermordeten Kinder. Man betritt einen dunklen Raum, in der Mitte ein paar Kerzen, die durch im Raum sich befindliche Spiegel unzählige Male immer wieder sich spiegeln.
Vom Tonband ertönt eine Stimme, die nur die Namen, das Alter und den Geburtsort der ermordeten Kinder aufzählen.
Auch in Berlin befinden sich ansprechende Mahnmale, beispielsweise das Mahnmal Levetzowstraße in Mitte (Tiergarten). Am ehemaligen Sammelplatz für Deportationen befinden sich auf einem stilisiertem Güterwaggon Menschen in Pakete zusammengeschnürt. Mit Sicherheit kein ansprechendes ästhetisches im Sinn von „schönem“ Mahnmal, aber zumindest eines, das mich emotional berührt.
Einsam soll man sich fühlen, wenn man zwischen den nicht einmal einen Meter breiten Wegen zwischen den Stelen entlang geht ohne jede Möglichkeit, nebeneinander zu laufen. Ruhig soll es werden, da man hinabsteigt.
Beim Gang durch die Betonstelen empfinde ich obiges kaum und letztlich nichts, was mich in irgendeiner Weise an den Holocaust erinnert. Kinder und Jugendliche, aber auch so manche „Erwachsene“ spielen „Verstecken“, erschrecken mit lautem „Buh !“ die Begleitpersonen. Andere turnen auf den Stelen herum, springen von Stele zu Stele (im Berliner Tagesspiegel vom 17. Mai 2005 ist ein Foto mit einem Kind zu sehen, das einen Kopfstand auf einer der Stelen macht). Junge Mütter hieven ihre Kinder auf die Stelen, sind beim Springen von Stele zu Stele behilflich.
Am westlichen Ende Richtung Tiergarten picknicken Besucher auf den flachen Stelen, diverses Papier allzu bekannter Fast-Food-Ketten macht sich auf dem Boden breit, das östliche Ende wird von Eiswagen angefahren. "Hauptstadt-Brezeln" werden angeboten, auch die Obdachlosenzeitung "Die Stütze" kann man käuflich erwerben. Andere klettern auf die Stelen, um sich einen Überblick über das Gelände zu verschaffen. Erschreckend, wie unbefangen und unsensibel mit dem Mahnmal umgegangen wird, obwohl die Hausordnung an den vier Ecken im Boden eingelassen ist und viele Besucher durchaus wissen, um was es sich bei diesem Bauwerk handelt. Und man verschärfte noch das Versammlungsrecht, als die rechtsextreme NPD am Mahnmal eine Demonstration angemeldet hatte ! Man argumentierte, dass eine Demonstration die Würde der Opfer verletze…
Das bunte Treiben ist inzwischen öffentliches Thema, im Berliner Tagesspiegel vom 18. Mai 2005, ist erneut ein längerer Artikel über diese Thematik zu lesen. Es fehle das Geld für weitere Sicherheitskräfte, außerdem sei das bunte Treiben ein Zeichen dafür, dass man das Mahnmal angenommen habe.
Aber hat man nicht vor 10 Jahren u. a. argumentiert, dass das Mahnmal ein Ersatzfriedhof darstelle, auf einem jüdischen Friedhof nur Juden liegen können bzw. dürfen, ergo das Mahnmal nur ein explizit den ermordeten Juden gewidmetes sein kann? Nun turnt man auf dem Ersatzfriedhof! "Vielen Besuchern des Holocaust-Mahnmals in Berlin scheint es an Ehrfurcht zu mangeln: Immer wieder pinkeln Touristen, Besucher und Passanten zwischen die Stelen. Bislang wurde diese Entwürdigung verschwiegen - absichtlich." betitelt Spiegel online einen Artikel am 29. Januar 2007.
Spielplatz und Toilette, aber der eigentliche Zweck scheint sich unter israelischen Staatsgästen noch nicht herumgesprochen zu haben: dass man hier den ermordeten Juden Europas gedenken soll.
Der israelische Außenminister Silvan Shalom legte am 18. Mai einen Kranz am Mahnmal Bahnhof Grunewald ab am Gleis 17, Ausgangspunkt diverser Deportationszüge, erst danach besuchte er das Mahnmal.
Der israelische Staatspräsident Moshe Katsav legt Ende Mai einen Kranz am damaligen Sammelplatz Große Hamburger Straße ab. „Die Vergangenheit, die Gefühle, sind an den authentischen Orten deutlicher zu fassen.“ (Amit Gilad, Sprecher der israelischen Botschaft, zitiert nach dem Berliner Tagesspiegel am 19. Mai 2005, Seite 8).
Faszinierend aber das Lichterspiel, wenn die Sonne scheint, die eine Seite jeder Stele hell angestrahlt wird, andere im Schatten bleiben. Faszinierend der Kontrast zwischen dem Meer der grauen Stelen und der Umgebung mit den Wohnhäusern in der Wilhelmstraße, dem Hotel Adlon oder dem östlichen Rand des Tiergartens. Faszinierend die große graue Fläche, ein Fremdkörper in der Umgebung. Aber ein Denkmal oder gar Mahnmal für die ermordeten Juden Europas ist dies nicht.
Das Mahnmal besitzt einige Defizite sowohl in inhaltlicher als auch in organisatorischer Hinsicht. Zunächst ist ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Der Holocaust umfasste aber auch andere Opfergruppen, z. B. Sinti und Roma, Homosexuelle, Behinderte, Zeugen Jehovas, sg. „Asoziale“, politische Häftlinge u. a.
Ein Mahnmal für alle Opfer des Holocaust wäre m. E. die sinnvollere Entscheidung gewesen, dass es anders kam, ist einerseits der Entstehungsgeschichte und andererseits der politischen Kultur zu verdanken. Es nützt wenig, wenn das Kuratorium sich Gedanken um ein Gedenken an andere Opfergruppen machen möchte. Jedem Mahnmal für andere Opfergruppen, das nicht mit einem solchen Aufwand entworfen und realisiert wird, wird man unterstellen, dass der geringere Aufwand Ausdruck geringerer Wertschätzung für diese Opfergruppen ist. Die Erklärungen der Initiatorin Lea Rosh, sich auf jüdische Opfer zu beschränken, klingen allzu sehr nach bloßer Rechtfertigung, historisch argumentiert(e) sie nicht.
Zwar ist aus jüdischer Perspektive der Holocaust insofern einmalig, dass es der erste Versuch war, die jüdische Bevölkerung in Europa vollständig auszulöschen.
Aus nichtjüdischer Perspektive, noch dazu aus der Perspektive aus dem Nachfolgestaat, der den Nationalsozialismus zu verantworten hat, hätten andere Opfergruppen eingeschlossen werden sollen. Mit gleicher Intention lief der Mord an Sinti und Roma ebenso, Behinderte hatte man schon systematisch ermordet, bevor im Rahmen des Holocaust systematisch Juden ermordet wurden. Ausgehend vom Menschenbild der Nationalsozialisten des Ariers als sg. „Herrenrasse“ waren Juden eine von mehreren minderwertigen Menschengruppen.
Es gibt aber auch organisatorische Defizite, das Mahnmal ist für Behinderte nur sehr bedingt zugänglich. Zwar gibt es markierte Wege für Rollstuhlfahrer, worin diese sich letztlich von den anderen Gassen unterscheiden, hat sich mir nicht erschlossen. Vielleicht sind sie ein wenig breiter, die Wege sind insofern rollstuhlfahrerfreundlicher, als die Neigungen maximal acht Grad betragen. Behinderte, die auf einem elektrischen Rollstuhl angewiesen sind, werden trotzdem kaum das Mahnmal durchfahren können aufgrund der ungünstigen Pflasterung und der Enge.
Auch den Ort der Information muß man suchen, einen direkten Hinweis habe ich am Mahnmal nicht gefunden. Letztlich sind auch die wenigen Sicherheitskräfte überfordert, die Besucher zur Einhaltung der Hausordnung anzuhalten, dass das Klettern, Rennen, Picknick u. ä. zu unterbleiben habe.
Das Mahnmal wird durch einen unterirdischen Ort der Information ergänzt. In den ursprünglichen Planungen war ein solcher Raum nicht beabsichtigt, das Mahnmal sollte für sich selbst sprechen. Allerdings hatte sich herausgestellt, dass angesichts des abstrakten Mahnmals ein Informationsort notwendig ist. Ohnehin wurde das Mahnmal mehrmals modifiziert, der kompromisslose Kompagnon des Architekten Peter Eisenmans, Serra, stieg deswegen aus dem Projekt aus.
Zunächst muß man zur Zeit zwei Sicherheitsschleusen passieren, eine oberirdische, die in einem wenig ansehnlichen Baucontainer untergebracht ist am östlichen Rand des Mahnmals. Aber diese Sicherheitsschleuse soll ohnehin nur vorübergehend notwendig sein, solange der Besucherandrang anhält. Die Wartezeit beträgt zurzeit übrigens ca. zwischen einer halben und einer ganzen Stunde.
Nachdem man die zweite Schleuse des Ausstellungsraums passiert hat, kann man sich in fünf Räumen über den Holocaust an jüdischen Opfern informieren. Um eines gleich vorweg zu nehmen: die Ausstellung ist recht gut gelungen, man wird nicht mit Informationen überflutet, denn zu diesem Thema gäbe es viel mehr auszustellen.
Zunächst begegnet man noch in einem mit Tageslicht angereichertem Raum einer kleinen Zusammenfassung der Geschichte des Nationalsozialismus, die sich nur auf das Allernotwendigste beschränkt.
Dies ist der einzige Raum, in denen auch andere Opfergruppen erwähnt werden. Dem sg. „Auftakt“ ist die Aussage Primo Levis vorangestellt: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“
Nachdem man eine Portraitreihe mit sechs jüdischen Opfern passiert hat, gelangt man in den „Raum der Dimensionen“.
Der Raum ist ziemlich dunkel, an den Wänden befinden sich kurze Hinweise auf die Zahl der Ermordeten in den einzelnen Ländern. Am Boden befinden sich Leuchtkästen, hier sind einige Zitate aus Briefen, Tagebucheinträgen und anderen Dokumenten der Opfer zu finden.
Der nächste Raum ist der „Raum der Familien“. Die Stelen werden symbolisch nach unten fortgesetzt, natürlich hat man hier mehr Platz. Hier kann man sich anhand einiger exemplarischer Familienschicksale aus verschiedenen Ländern über den Holocaust informieren. Dann betritt man den „Raum der Namen“. Er ist sehr spartanisch ausgestattet, hier steht das Tondokument im Vordergrund. Auf den Wänden wird der Name eines Ermordeten projiziert, der Besucher hört dazu eine kurze Biographie. Der Raum ist ausgestattet mit Sitzgelegenheiten. In einem Nebenraum hat man die Möglichkeit, an Touchscreens die Namen aller bekannten Ermordeten aus der Datenbank Yad Vashems entsprechend abzurufen.
Eindrucksvoll der Hinweis im Informationsblatt, dass wenn man die Kurzbiographien aller ca. sechs Millionen Namen mit den wenigen Angaben verlesen würde, wie es hier exemplarisch geschieht, würde es sechs Jahre, sieben Monate und 27 Tage dauern.
Im vorletztem „Raum der Orte“ werden verschiedene Vernichtungsorte vorgestellt, Orte von Massakern, systematischen Erschießungen und Konzentrationslagern. Hier gibt es die Möglichkeit, sich anhand von Hörstationen weiter über ein paar Orte zu informieren. Der Besucher wird im Gedenkstättenportal entlassen.
An Touchscreens hat man die Möglichkeit, gezielt Gedenkstätten in Europa zu recherchieren.
Auf der folgenden Bildschirmseite erhalten Sie ein Update, meine Eindrücke vom August 2016.
Im August 2016 besuchte ich das Denkmal abermals sehr ausführlich und lang, ich hielt mich mehrer Stunden dort auf. Gut elf Jahre liegen zwischen dem Erfahrungsbericht und den Ausführungen hier.
2005 schrieb ich, dass ein kontemplativer Besuch nicht möglich ist, Kinder und Erwachsene auf den Stelen herumsspringen, Erwachsene Verstecken spielen. Daran hat sich leider nichts geändert. Bei meinem Besuch zuckte ich mehrmals zusammen, weil junge Erwachsene zwischen den Stelen herum rannten und ihnen Stelen herum sprangen. Die Mitarbeiter waren zwar bemüht, dem Einhalt zu gebieten, wurden aber der Besucheranzahl nicht Herr. Es gab zu viele Besucher, die das Denkmal als Spielplatz wahrgenommen haben.
Mai 2005 |
August 2016 |
August 2016 |
August 2016 |