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6. Fremdenfeindliche und rechtsradikale Einstellungen in den neuen Bundesländern – eine andere Fremdenfeindlichkeit, ein anderer Rechtsradikalismus?


Das folgende Schaubild versucht, die verschiedenen Ursachen im Zusammenhang vereinfacht darzustellen:

Schaubild 11: Bedingungsgefüge zur Genese rechtsradikaler und fremdenfeindlicher Einstellungen in der DDR

Schaubild

Erläuterung: Die Pfeile stellen kausale Wirkungsrichtungen dar, z. B. die allgemeine Situation der DDR verursachte jugendlichen Protest, Repression führte zur Ablehnung des Systems, das wiederum die "Nische" verursacht, in der man an Vorangegangenes anknüpfen kann, aber auch erneut zur Ablehnung des Systems führt usw. Grau unterlegt sind die Bereiche, die unter staatlicher Verwaltung und Kontrolle standen.

Die "Nische" und die Charaktereigenschaften sind von zentraler Bedeutung. Beides sind das Ergebnis äußerer Rahmenbedingungen. Die Genese fremdenfeindlicher und rechtsradikaler Einstellungen kann im wesentlichen historisch und soziologisch erklärt werden. Letztlich müssen sie auch miteinander kombiniert werden. Bei beiden aber spielt die "Nische" eine wichtige Rolle.

In dieser sg. "Nische" entstanden bestimmte Charakterdispositionen, wie z. B. Kontaktunsicherheiten, Mißtrauen, Feindbilddenken u. a. Diese Eigenschaften aber stellen per se noch keine fremdenfeindlichen und rechtsradikalen Einstellungen dar. Dazu bedarf es eines Angebotes. Dieses Angebot hat das politische System geschaffen: Die staatlich institutionalisierte Ausgrenzung von Fremden war der Grund, warum individuelle Vorbehalte gegen Fremde nicht abgebaut werden konnten. Der oktroyierte Antifaschismus wiederum ließ eine rechtsradikale jugendliche Subkultur entstehen, die durch den inadäquaten Umgang in der DDR politisiert wurden.

Es war die "Politisierung des Privaten", die die Familien zu autoritär-repressiven Erziehungsmaßnahmen greifen ließ, um sich selbst und die Kinder zu schützen. Die zur Gewalt erzogenen Jugendlichen, für die auf Grund der Sozialisation selbst Kants kategorischer Imperativ nicht gilt, hatten bereits nach dem Sturz des Honecker-Regimes die Möglichkeiten, Einstellungen und Verhalten in Einklang zu bringen.

Sie werden aber von Älteren ermutigt. Fremdenfeindlichkeit ist weder in den alten noch in den neuen Bundesländern auf Jugendliche beschränkt. Die Älteren sind natürlich unter den selben Bedingungen sozialisiert, so daß zumindest auf der Einstellungsebene keine wesentlichen Unterschiede bestehen. Die Vorbehalte gegen Fremde sind ähnlicher Natur. Den Fremden wurde all das vorgeworfen, was man selbst vermißte: Devisen, Westreisen usw. Die institutionalisierte Ausgrenzung war verantwortlich dafür, daß die Vorurteile nicht abgebaut werden konnten. Man konnte auf nichts Gegenteiliges stoßen.

Die Nische selbst war bereits in der Nachkriegszeit ein wichtiges Rückzugsgebiet. Die traditionelle feindselige Haltung Kommunisten gegenüber hatte den Rückzug in eben diese Nische zur Folge, und man ordnete sich unter. Das Mitläufer-Verhalten wurde in vielen Fällen beibehalten. Es gab jedoch einen wesentlichen Unterschied: Die Massenbasis der NSDAP war bedeutend höher als die der SED.

Die neue kommunistische Führung mußte zwangsläufig repressive Methoden benutzen, um ihre Macht zu sichern. Das Land wurde nach außen abgeschottet, so daß kaum neue, progressive Ideen eindringen konnten. Die neuen Machthaber haben aber einen Großteil der Bevölkerung von möglicher (Mit-)Schuld aus dem NS entlastet. Das propagierte Geschichtsbild gab keinen Anreiz, seine Rolle zu hinterfragen bzw. die nachfolgenden Generationen hatten zuwenig wissen, um privat Fragen an ihre Familie zu stellen. Die Täter und Mitläufer waren angeblich alle woanders. Die historische Konstellation und das Geschichtsbild aber ließen schließlich alte Einstellungsmuster stärker konservieren.

Die fremdenfeindlichen und rechtsradikalen Einstellungen in den neuen Bundesländern sind das Ergebnis einer spezifischen Genese, die durch die Wende und durch die Vereinigung radikalisiert worden sind. Latent waren solche Einstellungsmuster schon immer vorhanden. Deswegen soll an dieser Stelle noch einmal der Bericht der Staatssicherheit über Niethammers Oral-History-Projekt wiederholt werden: "1. die nicht selten anzutreffende Verdrängung statt Bewältigung des Faschismus; 2. die Teilidentifikation einiger Gesprächspartner mit den wirtschaftlichen und sozialen Erfolgen des Nazi-Staates in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre; [...] 7. eine latente, z. T. aber auch offene Ausländerfeindlichkeit etlicher Menschen quer durch alle Generationen".(413)

Diese Einstellungsmuster haben die Historiker angetroffen. Ihre Ursachen liegen in den hier dargestellten Verhältnissen in der DDR.

Sowohl die Genese der hier untersuchten Einstellungsmuster als auch die Einstellungsmuster selbst sind spezifischer Natur. Begründungen für ablehnende Haltungen Fremden gegenüber sind austauschbar. Westdeutsch geprägte fremdenfeindliche Haltungen stellen lediglich einen neuen Begründungszusammenhang für bereits erworbene fremdenfeindliche und rechtsradikale Haltungen dar. Diese Überlagerung aber macht den Umgang sehr schwierig. Fremde sind in den neuen Bundesländern grundsätzlich weniger erwünscht.

Deswegen war es ein politischer Fehler, in Rostock-Lichtenhagen die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber zu errichten. In Königs-Wusterhausen wurde ein Gebäude, das für Asylbewerber vorgesehen war, abgebrannt, noch bevor die ersten Fremden eingezogen waren.

Die sozialisatorisch erworbenen Einstellungsmuster und Verhaltensweisen sind nicht ohne weiteres abzubauen. In Ostdeutschland mußte man bedeutend länger unter einer Diktatur leben. Die Auswirkungen sind in mehreren Generationen vorhanden. Deswegen ist ein sehr behutsamer Umgang notwendig. Auch westdeutsch Sozialisierte müssen behutsamer mit den ostdeutsch Sozialisierten umgehen und diejenigen, die den westdeutschen fremd geworden sind, "die Anderen" (also Ostdeutsche) mit ihren Verhaltensweisen akzeptieren und tolerieren. Das muß einerseits einen behutsamen Umgang mit fremdenfeindlichen und rechtsradikalen Einstellungsmustern nach sich ziehen, andererseits aber muß vor allem die "zivilisatorische Lücke" geschlossen werden. Das Gewaltmonopol des Staates muß ausgenutzt werden. Urteile gegen rechtsradikale Gewalttäter dürfen nicht mild ausfallen, damit die Normen verinnerlicht werden. Der behutsame Umgang ist im Vorfeld notwendig, bevor es zu Gewalttaten kommt. Projekte wie "Jugend mit Zukunft" sind ein Anfang und dürfen keinesfalls der Sparpolitik zum Opfer fallen.

(413) Niethammer, Lutz/Plato, Alexander/Wierling, Dorothee: a. a. O., S. 637f.